Essen. . Noch gibt es nur wenige Funktionsträger mit Migrationshintergrund in den Parteien. Derzeit jedoch werden die Zuwanderer von allen Parteien heftig umworben, die SPD denkt gar über eine Quote dafür nach. Allerdings sind davon nicht alle Betroffenen begeistert.

Auffällig eifrig zeigen sich die Parteien in letzter Zeit bei der Vergabe hochrangiger Posten an Politiker mit Migrationshintergrund. „Türkisch plus weiblich ist gleich erfolgreich“ scheint die Formel zu lauten. SPD-Chef Sigmar Gabriel fordert gar eine 15-Prozent-Migranten-Quote – für die Führungsebene. Genossen vor Ort, insbesondere Migranten, sind nicht alle begeistert.

Volkan Baran zum Beispiel. Er sagt, er habe ein dickes Fell. Das brauchte er auch, damals, 2008. Als der Muster-Sozialdemokrat – gelernter Bergmann, Gewerkschafter – zum Vizevorsitzenden seines Dortmunder Ortsvereins gewählt wurde, gab es Genossen, die aufstanden, ihr Parteibuch zurückgaben und den Saal verließen. Es wird ihn geschmerzt haben, doch Baran lässt sich nichts anmerken: „Die drei Spinner, dafür gab es dreißig andere, die sich mit mir solidarisiert haben.“ Manche hätten aber auch gefragt: „Habt ihr keinen Deutschen?“

Quote bestätigt die Diskriminierung

„Die Quote ist absoluter Quatsch“, sagt der 32-Jährige. Sie wäre „die Bestätigung der Diskriminierung“. Er habe lieber aus eigener Kraft geschafft, was er erreicht hat. Die Quote, sagt Baran, sei „ein verzweifelter Akt des Bundesvorstands, wieder auszubaden, was sie verbockt haben“. Gemeint ist: Sarrazin.

Auch Cem Demircan, der für die SPD im Rat der Stadt Velbert sitzt, hält es für einen „komischen Zufall“, dass die Idee mit der Quote „gerade jetzt“ kommt. Gerade jetzt, wo der Nicht-Rauswurf des Ex-Bundesbankers bei Migranten so stark am positiven Image der SPD kratzt. Trotzdem findet Demircan die Quote gut: „Es ist eine Chance, sich einzubringen.“ Auffällig sei jedoch, dass derzeit nur ein bestimmter Typ Chancen habe: „Eine Frau mit Kopftuch oder ein muslimischer Mann mit Schnauzbart, das geht nicht.“

Nur wenige bei CDU und FDP

Wie sichtbar darf der Migrationshintergrund eines deutschen Politikers sein? Eine der Fragen, mit denen der Politikwissenschaftler Andreas Wüst sich am Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung beschäftigt. Wüst glaubt, dass es bald mehr Mi­granten in herausgehobenen politischen Ämtern geben wird. Die SPD-Quote sieht er positiv: „So weit sind die anderen Parteien noch nicht.“

Wüst forscht über Migranten und deren politische Integration. 2009 machte er eine Bestandsaufnahme: Im Bundestag, in den Landesparlamenten und im Europarat zählte er 66 Abgeordnete mit Zuwanderungsgeschichte. Lediglich ein Viertel davon war bei CDU und FDP engagiert, drei Viertel dagegen bei SPD, Grünen und der Linken. Ein Ergebnis, das Wüst vor allem mit Glaubwürdigkeit erklärt: „Es geht mitunter gar nicht um substanzielle Politik. Es geht um Akzeptanz.“

Politisch mobilisiert

Die Zahlen des Forschers Wüst lassen sich für NRW bestätigen. Karen Schönwälder vom Göttinger Max-Planck-Institut zur Erforschung multireligiöser und multiethnischer Gesellschaften hat 2009 die Parteizugehörigkeit der Stadträte mit Migrationshintergrund in den 29 Großstädten des Landes erfasst: SPD und Grüne kommen auf fünf Prozent, die Linke auf fünfzehn, die CDU auf ein, die FDP auf zwei Prozent.

Duisburg sticht dabei besonders heraus: Acht von 74 Ratsmitgliedern haben einen Mi­grationshintergrund, elf Prozent sind das, so viele wie nirgends sonst. Schönwälder erklärt dies mit der kurz vor den Wahlen geführten Debatte über den Moscheebau, die nicht nur „das Bewusstsein für Anliegen der eingewanderten Bevölkerung erhöht“ habe, sondern diese „auch selbst politisch mobilisiert“.

Netzwerk türkeistämmiger Mandatsträger

Dass Rote und Grüne beliebter sind bei Zugewanderten und deren Kindern, weiß auch Bülent Arslan vom Deutsch-Türkischen Forum der CDU: „Wir haben nach wie vor das Image, dass wir die Partei sind, die am distanziertesten zu Migranten steht.“ Die Christdemokraten tun sich schwer mit der Öffnung, das musste auch Arslan erfahren. Für die Bundestagswahl 2002 versuchte er, einen Wahlkreis in Hagen für sich zu gewinnen. Er stieß auf Skepsis, zog seine Kandidatur zurück.

2005 scheiterte er erneut. Zumindest beim ersten Mal, sagt Arslan, sei es ein klarer Fall von Diskriminierung gewesen. Doch es habe sich einiges geändert in der CDU, „weil die Gesellschaft sich geändert hat“. Eine Quote brauche es nicht. Die erschwere die Akzeptanz für diejenigen, die durch sie an Posten kommen.

Dass man auch als CDU-Politiker mit ausländischen Wurzeln weit kommen kann, hat Aygül Özkan bewiesen, Deutschlands erste Integrationsministerin mit eigener Integrationsgeschichte. Die Hamburgerin war zuvor Mitglied im Netzwerk türkeistämmiger Mandatsträger, das 2004 von der Körber-Stiftung initiiert wurde. Ebenfalls Teil des Netzwerks, wenn auch nur noch beratend: Cem Özdemir, Grünen-Parteichef und als erster Türkeistämmiger im deutschen Bundestag Pionier.

Fehlende Akzeptanz

Ergun Can sitzt im Stuttgarter Stadtrat und ist Vorsitzender des Netzwerks. Für ihn ist die Quote „ein Anfang, ein Weg zum Ziel“. In den Stadtparlamenten gebe es viele Politiker mit Migrationshintergrund, so Can, eine Ebene darüber schon weniger: „Da, wo’s Geld gibt, wird die Luft dünner.“ Dabei müssten bei der Entwicklung der Bevölkerungszahlen nicht nur die Parteien längst bunter sein, sondern alle Bereiche der Gesellschaft. Doch dafür seien viele noch nicht bereit: „Es wird einfach nicht akzeptiert, wenn man einen fremdländischen Namen hat und sagt, man ist Deutscher.“ Ein deutscher Kanzler mit Ös und Üs im Namen? Can: „Davon sind wir Lichtjahre entfernt.“