Essen. . Eine Sockelrente fordert SPD-Chef Sigmar Gabriel im Kampf gegen Altersarmut. Nach 35 oder 40 Jahren Vollzeitarbeit soll ein Rentner mehr erhalten als die heutige Grundsicherung, sagte Gabriel der WAZ-Mediengruppe.
Für 2013 zeichnet sich ein Wahlkampf um eine Frage ab: Wer strahlt Solidität aus? Die Koalition will Steuern senken - den Gegenentwurf mit dem Gütesiegel „Peer Steinbrück“ will die SPD im Herbst vorlegen. Im Gespräch mit der der WAZ-Mediengruppe zeigt SPD-Chef Sigmar Gabriel schon die Richtung an: Steuern für Spitzenverdiener rauf, runter mit den Sozialabgeben. Zudem fordert er eine „Sockelrente“.
Herr Gabriel, warum hat die SPD ihr Steuerkonzept auf den Herbst verschoben?
Gabriel: Wir wissen genau, was wir wollen: Mit der SPD gibt es keine Steuersenkungen auf Pump. Niemand ist damit geholfen, wenn wir heute die Steuern um ein paar Euro senken und morgen wegen zu hoher Staatsschulden die Inflation steigt und das Geld nichts mehr Wert ist. Die Bundesregierung macht dieses Jahr mehr als 30 Milliarden Euro neue Schulden, betreibt aber keinerlei Risikovorsorge.
Es ist ein offenes Geheimnis, dass die SPD Spitzenverdiener stärker besteuern will. Wo aber wollen Sie die kleinen Leute entlasten?
Gabriel: Wer die unteren Einkommen entlasten will, kann das nicht bei den Steuern machen, sondern nur bei den Sozialabgaben. Denn 40 Prozent der Haushalte zahlen keine Einkommenssteuer. Wenn Herr Kauder von der Union bereit ist, mit uns den Spitzensteuersatz zu erhöhen, können wir darüber reden, die Sozialabgaben für Niedrigverdiener abzusenken.
Sie sprachen von Risiken. Die Pflege ist die Altersarmut auch. Was fällt der SPD dazu ein?
Gabriel: Es gibt viele Menschen, die unverschuldet lange Zeit arbeitslos waren. Und noch mehr Menschen, die wegen der Verweigerung eines gesetzlichen Mindestlohns und wegen der ungerechten Bezahlung in der Leih- und Zeitarbeit im Alter nur eine ganz kleine Rente bekommen, von der sie nicht leben können. Deswegen braucht Deutschland im Kampf gegen Altersarmut in Zukunft eine Sockelrente.
Wo setzen Sie da finanziell an?
Gabriel: Nach 35 oder 40 Jahren Vollzeitarbeit muss die Sockelrente deutlich oberhalb der heutigen Grundsicherung im Alter liegen, die ja nichts anderes ist als Hartz IV im Alter.
Die Grundsicherung im Alter liegt heute schon bei rund 750. Wieviel würde ihr Plan kosten wie würden Sie ihn finanzieren?
Gabriel: Zu Beginn würde die Sockelrente sehr wenig kosten, weil wir erst langsam in das Problem der Altersarmut hineinwachsen. Das heißt aber nicht, dass wir uns nicht jetzt kümmern müssen. Auch das ist Teil unseres Konzepts für eine Steuer- und Abgabenpolitik.
Arbeitet Peer Steinbrück daran?
Gabriel: Es ist vor allem das Werk von Carsten Schneider und Joachim Poß. Aber wir waren gut beraten, unseren erfolgreichen Finanzminister zu beteiligen Ich bin ihm dankbar dafür, dass er sich da ein halbes Jahr lang voll eingebracht hat.
Wir robben uns an die K-Frage heran. Stört Sie die Mediendebatte?
Gabriel: Einerseits freut es mich, dass ein prominenter Sozialdemokrat auf so viel Interesse stößt, Andererseits bin ich skeptisch, ob es am Ende gut ist, dass Politik immer mehr auf Personen reduziert wird.
Aber es gibt Schlimmeres, oder?
Gabriel: Vor eineinhalb Jahren hätten sich die Journalisten über uns lustig gemacht, wenn wir nach der schweren Wahlniederlage schon über den Kanzlerkandidaten 2013 geredet hätten. Heute traut man uns den Wahlsieg über Frau Merkel schon wieder zu. Das freut mich.
Viele Ihrer Vorgänger haben sich an Parteireformen versucht, Engholm, Müntefering. Viel kam dabei nicht rum. Ist die SPD ein verknöcherter Verein?
Gabriel: Nein. Das Problem ist ein anderes: Reformvorschläge kommen schnell bei denen als Kritik an, die ganz viel für ihre Partei tun. Darum geht es aber nicht.
Sie wollen das Innenleben der SPD aufpeppen, die Mitglieder stärken, schlankere Gremien schaffen. Man hat den Eindruck, dass Ihr Herzblut vor allem daran hängt, Nicht-Mitglieder auch über die Kandidaten bestimmen zu lassen. Liegen wir falsch?
Gabriel: Nicht nur Herzblut. Auch Verstand. Eine Partei, in der das Durchschnittsalter bei 60 Jahren liegt, droht die Gefahr, abgehängt zu werden. Das heißt: Den Kontakt zu denen zu verlieren, die im Berufsleben sind. Die kommen nicht mehr automatisch zu uns, also muss die SPD zu ihnen kommen. Wir müssen die Schwelle zum Mitmachen absenken. Wir wollen aus Nicht-Mitgliedern Interessierte und aus denen wiederum Mitglieder zu machen.
Wieviel ist eine Mitgliedschaft noch wert, wenn andere auch mitreden und entscheiden?
Gabriel: Ich bin nicht in die SPD eingetreten, weil ich über Kandidaten abstimmen wollte, sondern weil ich was verändern wollte, weil mich die Idee der Freiheit und der Solidarität begeistert hat. Über die Inhalte der SPD werden immer nur die Mitglieder entscheiden. Und wir wollen keiner Gliederung vorschreiben, auch Nicht-Mitglieder an der Kandidatenauswahl zu beteiligen. Aber wer es will, soll es tun können.