Essen. . Der Prozess um Vergewaltigungsvorwürfe gegen einen SPD-Ratsherren aus Essen muss womöglich wiederholt werden. Die Staatsanwaltschaft versucht, den umstrittenenen Ausschluss der Öffentlichkeit bei dem Verfahren rückgängig zu machen. Der Ratsherr soll eine Disco-Bekanntschafft nach einvernehmlichem Sex missbraucht haben.

Die Staatsanwaltschaft versucht, den ungewöhnlichen Ausschluss der Öffentlichkeit im Vergewaltigungsprozess gegen einen Essener Ratsherren rückgängig zu machen. Staatsanwaltschaft Gabriel Wais beantragte am Montag, die komplette Verhandlung zu wiederholen, um den Eindruck eines Geheimverfahrens zu vermeiden.

Verantworten muss sich der 48 Jahre alte Sozialdemokrat seit dem 17. Juni, weil er in der Nacht zum 7. August 2010 eine acht Jahre jüngere Diskothekenbekanntschaft nach zunächst einvernehmlichem Sex gegen ihren Widerstand brutal misshandelt und gedemütigt haben soll. Nachdem er die Vergewaltigung im Vorfeld bestritten hatte, einigten sich die Anwälte der beiden kurz vor Prozessbeginn. Der Beschuldigte gestand und zahlte 50.000 Euro Schmerzensgeld an das Opfer. Offenbar im Gegenzug bekam er das Einverständnis des Opfers für eine Bewährungsstrafe und den Ausschluss der Öffentlichkeit schon bei der Verlesung der Anklage.

Ausschluss der Öffentlichkeit „absoluter Revisionsgrund“

Dies hält die Staatsanwaltschaft mittlerweile für rechtswidrig. Gabriel Wais erinnerte daran, dass er sich zum Prozessauftakt ausdrücklich gegen den Antrag von Verteidiger Rüdiger Deckers, die Öffentlichkeit bei der Anklageverlesung auszuschließen, ausgesprochen hatte. Die XVII. Strafkammer habe dem Antrag des Verteidigers aber „zu Unrecht“ zugestimmt. Wais betonte, dass die Presse als Vertreter der Öffentlichkeit grundgesetzlich geschützt sei. Durch sie finde eine Kontrolle der Justiz statt, sie sei wichtig für das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Rechtsprechung.

Der Ausschluss der Öffentlichkeit in diesem Fall sei ein absoluter Revisionsgrund: „Der Bundesgerichtshof wird ein Urteil in jedem Fall aufheben.“ Das besondere Interesse der Öffentlichkeit sei auch durch die öffentliche Stellung des Angeklagten als Ratsherr gegeben.

Auch das Opfer soll sprechen

Staatsanwalt Wais fühlt sich auch nicht mehr an die Vereinbarung aller Prozessbeteiligten in einem Rechtsgespräch gebunden. Hinter verschlossenen Türen hatten sie sich zum Prozessauftakt auf eine Bewährungsstrafe geeinigt, wenn der Angeklagte gesteht und 50.000 Euro an das Opfer zahlt. Wais ist der Ansicht, dass das Geständnis des Angeklagten nicht ganz vollständig war. Auch das Opfer will er hören, um die psychischen und physischen Folgen der Tat einschätzen zu können.

Schweres Geschütz fährt er jetzt auch gegen den Angeklagten auf: Nach dessen Angaben zum Trinkverhalten in der Tatnacht – eine Blutprobe gab es nicht – hatte Rechtsmediziner Kurt Trübner zwischen 1,7 und 3,4 Promille Alkohol errechnet. Dass der Angeklagte dennoch zielgerichtet handelte, so Trübner, spräche nicht gegen diese Werte, weil der Angeklagte „trinkgewohnt“ sei. Für Wais lässt dies auf eine psychische Störung des Ratsherrn schließen, die in einem psychiatrischen Gutachten zu prüfen sei. Dabei müsse auch geklärt werden, ob der Angeklagte in die geschlossene Psychiatrie oder in eine Entziehungsanstalt einzuweisen sei.

Verteidiger Rüdiger Deckers, der von diesem Antrag offenbar überrascht wurde, will über die von Wais aufgeworfenen Rechtsfragen „tief nachdenken“. Ebenso wie Opfer-Anwalt Ernst van der Meulen bat er das Gericht um einige Tage Bedenkzeit. Diese Frist gewährte das Gericht den beiden. Den Opfer-Anwalt bat Richter Bernd Koß, beim nächsten Mal die Mandantin mitzubringen. „Das wäre nicht verkehrt“, sagte er zu van der Meulen. Möglicherweise deutet dies darauf hin, dass das Gericht eine Neuauflage starten will.