Dortmund. . Aufmarsch von Rechts: In einigen Vierteln ziehen systematisch Nazis in freiwerdende Wohnungen. Darunter sind einige Fürhungskader

Das Fazit aus dem Osten der Republik an die braunen Kameraden im Ruhrgebiet liest sich fröhlich. Die „Vollzugskräfte“ der Polizei sind beim Dortmunder Anti-Kriegstag mal so richtig „verarscht“ worden, berichtet der Neonazi Christian Worch in einer E-Mail an NPD-Kader, die der WAZ vorliegt. Worch freut sich, weil seine Nazis vor den Augen der Polizei referieren konnten, für welche Ziele eine „Faustfeuerwaffe“ Kaliber 9 Millimeter Parabellum besonders geeignet ist.

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Von David Schraven

Der Neonazi Worch mag diese Auftritte. Nicht nur, weil sie provozieren. Er mag sie, weil sie seine Strategie bestätigen, den im Osten erprobten Kampf um den öffentlichen Raum auf den Westen zu übertragen. Besonders in Dortmund wird das sichtbar. Die Stadt ist auf der braunen Landkarte des Ruhrgebiets ein besonders dunkler Fleck. Christian Worch ist hier vor Ort regelmäßig einer der Organisatoren des Antikriegstages, zu dem auch Nazi-Kader aus Ostdeutschland anreisen. Worch selbst wohnt im Mecklenburgischen Parchim.

Führungskader ziehen nach Dortmund

Damit aber nicht genug. Mit Rene Hackbarth zog ein Führungskader aus dem Mecklenburgischen Greifswald nach Dortmund. Seither bildet Hackbarth ein wichtiges Bindeglied zu den Kameraden im Osten. Wie eng die Gruppen zusammenarbeiten, wird nur selten sichtbar. Etwa als Nazis aus Teterow (Mecklenburg-Vorpommern) vor knapp zwei Jahren mit rund 400 anderen Nazis die 1.-Mai-Demo des DGB in Dortmund angriffen. In einer E-Mail freute sich ein Neonazi über die Hilfe aus dem Osten: „Man bildete das, was man sein wollte – eine Einheit.“

Wer also wissen will, wie die Neonazis im Ruhrgebiet Erfolg haben wollen, der muss nach Mecklenburg-Vorpommern fahren. Denn dort in den Dörfern jenseits der Elbe verbergen sich die politischen Labore der Rechtsextremisten, Dort erlernen sie ihre Ruhrpott-Taktik. Zum Beispiel in Boizenburg.

„Wir stehen hier an der Front“

Das schmucke Städtchen hat sich herausgeputzt. Platanen säumen einen weiten Platz. Mitten drin eine Backsteinkirche. Am Rand des Platzes residiert das Büro der örtlichen SPD in einem rot renovierten Fachwerkhaus.

Immer wieder fliegen hier Steine durch das Fenster. Schwere Brocken, sagt Angelika Voss. Sie arbeitet in dem SPD-Büro. Die Scherben seien das Schlimmste, sagt sie, wenn die ganze Fensterfront zerstört wird und danach der Wind den Regen in den Raum peitscht. Wer die Steine wirft? Angelika Voss sagt es nicht.

Erst später am Abend in einer Gaststätte wird ein Sozialdemokrat deutlich: „Wir stehen hier an der Front.“ Die Faschisten greifen die Symbole des bürgerlichen Staates an, die Mitte der Gesellschaft. Die Polizei ermittelt, doch alle Anzeigen verlaufen im Sand.

Über 100 Angriffe

Die Angriffe auf das Bürgerbüro in Boizenburg sind keine Einzelfälle. Immer wieder fliegen Steine und Farbbeutel auf Büros der SPD, der CDU, der Grünen und auf jeden, der sich für die Demokratie einsetzt. In Güstrow, in Ribnitz, an der Müritz. Über 100 Angriffe zählte der Verfassungsschutz. Die Nazis sind da. Und die Leute haben Angst.

Noch weiter im Osten, nahe der polnischen Grenze liegt der Landkreis Ostvorpommern rund um die Kleinstadt Anklam. Hier haben die Nazis ganze Dörfer im Griff. Hier wählen bis zu 30 Prozent der Menschen rechtsextrem. Zwar sind die Nazis damit in der Minderheit. Aber sie können auf Zuruf schlagkräftige Leute auf die Straße stellen.

Die Nazis wollen das Territorium beherrschen

Nur Einzelne wagen den Widerstand, so wie Ulrich Höckner, Chef der lokalen Caritas. Höckner wohnt in Bargischow, einer kleinen Gemeinde an der Peene, in der Nähe der Ostsee. Von 360 Menschen im Ort haben 60 die Rechtsradikalen gewählt, sagt Höckner. Die Nazis haben für einzelne Veranstaltungen schon mal den Kulturclub im Dorf genommen. Dort auf dem Gelände veranstalten sie Axtwerfen für Jugendliche. Anschließend gibt es Bier für alle. „Das Problem ist, die jungen Neonazis werden nicht als verfassungsfeindliche Kameradschaft wahrgenommen, sondern als Dorfjugend“, sagt Höckner. Die Neonazis seien bestrebt, gesellschaftliche Räume zu dominieren. Nicht nur Gewalt und Hetze würden ihre Strategie bestimmen, sondern auch „soziales“ Engagement. In Feuerwehr und Fußballclubs geben sie sich sozial oder sportlich. Höckner sagt, vielen Bürgern sei das Thema „Neo-Nazis“ unangenehm. „Sie hoffen, wenn sie nicht offen Stellung beziehen, wird es sich irgendwie erledigen.“

Doch nichts wird sich von selbst erledigen. Die Aktionsformen aus dem Osten übertragen die Nazis auf das Ruhrgebiet. Seit etwa 2004 stellt das Dortmunder Antifa-Bündnis den Zuzug von Nationalisten und Skinheads fest. In einigen Quartieren in Dortmund Dorstfeld etwa, entlang des Steinauwegs, ziehen seit Jahren Neonazis in freiwerdende Wohnungen. „Die Nazis wollen hier ihre Parole durchsetzen: Dortmund gehört uns“, sagt Kevin Probst, Sprecher des Antifa-Bündnisses. Wie in einer dominierten Zone in Mecklenburg wollen die Nazis das Territorium beherrschen.

Druck auf Engagierte

Damit nicht genug: Einmal in der Woche veröffentlichen die Nazis Gesichter und Adressen von Antifaschisten aus dem Ruhrgebiet im Internet. Diese Menschen werden später häufig angegriffen und ihre Häuser beschmiert, sagt Kevin Probst. Mindestens eine Familie wurde schon vertrieben, ihr Sohn wurde von Neonazis zusammengeschlagen. Eine weitere Familie wird gerade unter Druck gesetzt.

Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft verlaufen meist im Sand. Oft sei es schwer, die Täter zu ermitteln, erklärt die Dortmunder Oberstaatsanwältin Ina Holznagel. Gerade bei Sachbeschädigungen sei es schwer zu sagen, wer etwas gemacht habe. Selbst wenn sich jemand auf der Straße bedrängt oder bedroht fühle, könne das noch lange nicht anklagt werden. „Wir müssen Gerichte überzeugen“, sagt Holznagel. Und die Nazis breiten sich unterdessen in Dortmund weiter aus.