Athen. . Der Euro sollte Europa einen. Jetzt entzweit die gemeinsame Währung Deutsche und Griechen. Dabei gibt es zwischen wenigen Völkern in Europa seit Jahrhunderten so enge Bindungen wie zwischen Deutschen und Griechen.

Thomas Helge zieht es nach Hellas. Wie schon einmal als Student vor über 30 Jahren, will der Studienrat mit dem Auto im Sommer die Peloponnes bereisen. Er ist besorgt: „Muss ich fürchten, dass mir die Reifen zerstochen werden, wenn ich mit deutschem Kennzeichen unterwegs bin?“, fragte er einen Freund, der in Griechenland lebt.

Deutsche und Griechen waren gute Freunde. Dann kam die Schuldenkrise. Sie hat das Verhältnis vergiftet. Die Währungsunion vereint nicht, sie spaltet – gerade Deutsche und Griechen. Angela Merkel ist die unbeliebteste ausländische Politikerin in Griechenland. Viele werfen ihr vor, sie habe mit ihrem Zögern bei den Hilfskrediten 2010 das Land erst richtig in die Krise gestürzt. Fast 84 Prozent der Griechen, so eine Umfrage, haben eine negative Meinung von der Bundeskanzlerin.

Mit Stinkefinger

Die Griechen sind enttäuscht. Sie fühlen sich unverstanden und verletzt. Vor allem von den Deutschen. Denn die hielten sie für Freunde. Bis Merkel forderte, ihnen das Stimmrecht in der EU abzunehmen. Und bis ein deutsches Nachrichtenmagazin auf seiner Titelseite die Liebesgöttin Aphrodite mit dem Stinkefinger abbildete und die Griechen als „Betrüger in der Euro-Familie“ hinstellte.

Die Zerrüttung ist besonders bedrückend, wenn man bedenkt, dass es zwischen wenigen Völkern in Europa seit Jahrhunderten so enge Bindungen gab wie zwischen Deutschen und Griechen. Für die deutschen Klassiker, für Goethe und Schiller, war Griechenland gleichbedeutend mit Humanität. Winckelmann prägte für Generationen Deutscher das Bild von der Antike, Curtius grub die Ruinen von Olympia aus.

König der Hellenen

Deutsche Philhellenen unterstützten Anfang des 19. Jahrhunderts den Aufstand der Griechen gegen die osmanischen Herrscher. Nach der Befreiung wurde ein Deutscher, Otto von Wittelsbach, erster König der Hellenen. Die Regentschaft des Bayern gehörte indes nicht zu den glücklichsten Epochen der neugriechisch-deutschen Geschichte.

Deren dunkelstes Kapitel ist die Nazi-Besatzung im Zweiten Weltkrieg. In wenigen Ländern haben Wehrmacht und SS so furchtbar gewütet wie in Griechenland. Doch schneller als andere Völker reichten die Griechen nach dem Krieg den Deutschen die Hand. Schon 1952 konnte das erste Goethe-Institut im Ausland in Athen eröffnet werden. 1956 absolvierte Bundespräsident Heuss seinen ersten Staatsbesuch im Ausland. Er führte nach Griechenland.

Über ihre Verhältnisse gelebt

Deutschland erlebte sein Wirtschaftswunder, Griechenland blieb ein armes Land. Hunderttausende wanderten in den 60er-Jahren aus, die meisten nach Deutschland. Den Beitritt Griechenlands zur EWG 1981 feierten viele als „Rückkehr Europas zu seinen Wurzeln“. Der Euro sollte zwei Jahrzehnte später jene Klammer sein, die dieses Europa zusammenhält. Doch jetzt ist es ausgerechnet die gemeinsame Währung, die Griechen und Deutsche entzweit.

Die Griechen geben mehr aus als sie verdienten, lautet ein berechtigter Vorwurf. Doch daran haben die Deutschen gut verdient. Miele-Waschmaschinen, Grundig-Radios, ein Opel: das waren schon in den 60er-Jahren geschätzte Statussymbole in Griechenland – auch weil sie für die meisten Menschen unbezahlbar waren. Mit dem Beitritt zur EWG 1981 schlug die große Stunde der deutschen Exporteure, die Zollschranken fielen.

Der Euro verführte die Griechen mit billigen Krediten zu Anschaffungen, die sie sich mit der Drachme nie hätten leisten können. Auf die Bevölkerungszahl umgerechnet gebe es in Athen mehr Porsche, BMW und Mercedes als in jeder deutschen Stadt, heißt es. Ob die Statistik stimmt, ist nicht genau zu eruieren, aber der Augenschein spricht dafür.

Rüstungsgeschäfte

Auch die Vertreter der deutschen Rüstungsindustrie gaben sich in Athen die Klinke in die Hand. Deutschland lieferte Panzer und Geländewagen, Unimogs und U-Boote. Selbst als die griechische Finanzmisere längst offensichtlich war, drängte Kanzlerin Merkel den damaligen Premier zum Kauf milliardenteurer Eurofighter.

Studienrat Helge wird übrigens doch nicht nach Griechenland fahren. Er hat in der Tagesschau die Bilder von den Ausschreitungen auf dem Athener Syntagmaplatz gesehen, in den Zeitungen von Streiks und Stromabschaltungen gelesen. „Bei aller Freundschaft – das brauche ich im Urlaub nicht.“