Berlin. . Da war dieser Ausblick, zauberhaft. „Süßes Gift“, sagt Wolfgang Thierse dazu. Er stand in seinem Büro im Bundeshaus und schaute auf die sieben Hügel über dem Rhein. Der Strom zog träge dahin, ab und zu ging ein Kahn durchs Bild. Thierse sagte sich immer, „du bist hier nicht im Urlaub“. Die Idylle hatte „etwas Unwirkliches.“ So war das, damals in Bonn. Vor 20 Jahren, am 20. Juni 1991, aber wählte der Bundestag das Kontrastprogramm: Raus aus der Idylle, ab ins grelle Berlin.

Da war dieser Ausblick, zauberhaft. „Süßes Gift“, sagt Wolfgang Thierse dazu. Er stand in seinem Büro im Bundeshaus und schaute auf die sieben Hügel über dem Rhein. Der Strom zog träge dahin, ab und zu ging ein Kahn durchs Bild. Thierse sagte sich immer, „du bist hier nicht im Urlaub“. Die Idylle hatte „etwas Unwirkliches.“ So war das, damals in Bonn. Vor 20 Jahren, am 20. Juni 1991, aber wählte der Bundestag das Kontrastprogramm: Raus aus der Idylle, ab ins grelle Berlin.

„Stellen Sie sich vor, wir säßen noch am Rhein und wie uns die Probleme der deutschen Einheit erreichen würden.“ Wie? Auf dem Papier, nach Aktenlage. „Hier in Berlin kann man ihnen nicht ausweichen. Die Stadt ist lauter, aggressiver“, meint der Bundestags-Vizepräsident. Das wirke keine Wunder. Es sei aber – unterschwellig – „eine andere Wahrnehmung der Probleme“. Da spricht der Ostdeutsche, der ‘local hero’ vom Prenzlauer Berg.

Hektische Zeit

Eduard Oswald, der damals mit dem Umzug beauftragt wurde, sieht es etwas nüchterner. „Als Politiker“, erzählte der CSU-Mann, bewege man sich immer „im engen Bereich von Pariser Platz, Bundestag und vielleicht noch Gendarmenmarkt.“ Von Debatten „mit dem Bürger auf der Straße“ kann Oswald nicht berichten. „Die Zeit ist einfach hektischer geworden“, sagt er.

Die Politik leidet weniger an der nervösen Metropole als an der Globalisierung. 1999 war der Umzug. Kurz danach kamen der Börsensturz am Neuen Markt, die Einführung des Euro, der 11. September 2001, der Krieg in Afghanistan, die Krise der sozialen Systeme. Und jedes Ereignis führte in den politischen Ausnahmezustand. Wäre es in Bonn nicht genauso atemlos zugegangen? „Die Berliner Republik unterscheidet sich gar nicht so stark von der alten Bonner Republik“, meint Manfred Görtemaker, Historiker an der Universität Potsdam.

Ruppiger geht es zu

Die Grundkoordinaten der Politik seien „die selben geblieben“, räumt auch Thierse ein. Der größte Unterschied, der ihm einfällt, betrifft das Verhältnis zu den Medien. Ruppiger geht es zu, hektischer, konfrontativer, eitler. Von einem anhaltenden „Hype um die Hauptstadt“ reden die Medienwissenschaftler Leif Kramp und Stephan Weichert. Die PR-Armee aus Lobbyisten, Presseagenten, Beratern, Spin-Doktoren macht aus der Berliner Republik eine Beraterrepublik.

Den Hype sieht Görtemaker schon. Aber für den Historiker hat er „nichts mit Berlin zu tun, sondern damit, dass sich die Medien fundamental verändert haben“. In Frankreich, England oder in den USA zeige sich dasselbe Bild – ohne, dass dort die Regierung umgezogen sei. Görtemaker: „Sie können heute, wenn Sie kein Medienstar sind, politisch längerfristig nichts werden.“ Die Befürchtungen vor einer „Berliner Republik“ haben sich ebenfalls als unbegründet erwiesen. Von einem neuen Zentralismus und Nationalismus, von politischer Großmannssucht kann gar keine Rede sein.

Die eigentliche Zäsur war das Jahr 1989: Der Fall der Mauer. Der Umzugsbeschluss zwei Jahre später war der Versuch, „die Politik nach Osten zu verlagern“, so Thierse. Auch die Wessis sollten spüren, dass nicht alles so bleiben konnte, wie es war, auch in Bonn nicht. Das war das Kernargument des auffälligsten Redners vom 20. Juni 1991: Wolfgang Schäuble.

Harte Auseinandersetzung

Lässt man all den Pathos weg, dann war es eine harte Auseinandersetzung, bei der die Ostdeutschen einen Symbolsieg errangen. Die 17 Stimmen, die den Ausschlag pro Berlin gaben, entsprachen übrigens der Stärke der PDS im Bundestag. Nicht nur der Osten behauptete sich, sondern auch Berlin. Ohne den Umzug wäre die Stadt heute ein Subventionsfass ohne Boden.

Damals, am 20. Juni 1991, war der Umzug emotional anders aufgeladen. Thierse erinnert sich, wie er „am so genannten Hauptbahnhof von Bonn“ auf seinen Zug wartete. Eine ältere Frau erkannte ihn, ging ein paar Mal um ihn herum, bis sie sich mit Mut aufgepumpt hatte und ihn ansprach: „Sie trauen sich ja was, hier zu stehen, nach allem, was Sie uns angetan haben.“