Berlin. . Seit ihrer Gründung kämpfen die Grünen gegen die Kernenergie - und streiten jetzt darum, ob sie dem Atomausstiegskonzept der Bundesregierung zustimmen sollen. Wieder könnte der alte Konflikt zwischen Fundis und Realos die Partei spalten.

Der Atomausstieg ist das Urthema der Grünen. Seit ihrer Gründung kämpfen sie gegen Kernenergie. Nun will die Regierung die Atomkraft bis 2022 beerdigen und stellt die Grünen auf eine schwere Belastungsprobe. Seit Tagen streiten sie, ob sie Energiewende nebst Stufenausstieg zustimmen sollen oder nicht. Die Gegner warnen vor dem Verrat an grünen Idealen und dem Verlust ihrer Glaubwürdigkeit. Die Befürworter befürchten, dass sie mit einem „Nein“ ausgerechnet beim Atomausstieg keine Rolle spielen. Auf dem Sonderparteitag am 25. Juni will die Partei einen Konsens finden.

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat den Skeptikern jüngst die Leviten gelesen. „Ein Beschluss gegen den Atomausstieg wäre ein Akt der Selbstbeschränkung der Grünen, damit würden wir uns im Oppositionsgestus einmauern“, warnte er. Nachdem sich Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Ministerpräsidenten auf den Stufenausstieg geeinigt haben, hält Kretschmann diesen für wichtiger als die grüne Maximalforderung – das AKW-Ende bis 2017.

Greenpeace warnt vor Verlust der Glaubwürdigkeit

Das sieht Boris Palmer, Tübingens Oberbürgermeister und Oberrealo, ähnlich. „Ein Nein zum Atomausstieg wäre eine vertane Chance. Damit würden wir die Deutungshoheit ausgerechnet den Atomparteien CDU und FDP überlassen.“ Teile der Bundestagsfraktion sind ganz anderer Ansicht. „So können wir dem Atomausstieg keinesfalls zustimmen“, sagt der klimapolitische Sprecher der Ökopartei, Hermann Ott. Der Ausstieg komme zu spät, es würden zu viele AKW erst in zehn Jahren abgeschaltet und die Endlagerfrage sei offen. „Wir müssen den Atomausstieg im Grundgesetz verankern, damit er wirklich unumkehrbar ist und wir nicht in zehn Jahren erneut zittern müssen“, sagt Ott. Rückendeckung kommt auch aus der Umweltbewegung. Die Grünen würden ihre Glaubwürdigkeit verlieren, wenn sie dem Ausstieg so zustimmten, verlautet Greenpeace.

Derzeit muss die Partei- und Fraktionsspitze viel Überzeugungsarbeit leisten, um die Partei auf Linie zu bringen. Fraktionschef Jürgen Trittin und Vize Bärbel Höhn sehen Chancen für eine Einigung mit der Regierung, wenn diese nachbessert. „Den Ausstieg bekommt man schneller hin“, sagt Höhn. Zudem fordert sie einen Baustopp in Gorleben.

„Wir sollten dem Atomausstieg zustimmen und den übrigen, völlig unzureichenden Gesetzen zur Energiewende unser Programm für 2013 gegenüberstellen“, schlägt Palmer vor. Gut möglich, dass die Parteiführung den Delegierten diese Variante auf dem Parteitag vorschlägt.

Rückschlag droht

Dort droht den Grünen ein Rückschlag, falls sie nur mit knapper Mehrheit für oder gegen den Atomausstieg sind. Der alte Fundi-Realo-Streit wäre wieder da. Ein grünes „Ja“ zum Atomausstieg würde Merkels Energiewende veredeln. Um ihrer selbst willen müssen die Grünen aber nicht zustimmen, findet der Politikwissenschaftler Hans Herbert von Arnim: „Den Atomausstieg an sich verbinden die Bürger ohnehin mit dem Wirken der Grünen.“ Daher sei es für die Zukunft der Partei nicht ausschlaggebend, ob sie dem Ausstiegskonzept zustimme oder nicht.

Mit dem AKW-Aus falle für die Ökopartei zwar ein wichtiges Thema weg, eine Sinnkrise der Partei will von Arnim daraus nicht ableiten. Sie habe sich im aufgeschlossenen Bürgertum festgesetzt. „Die Grünen sollten sich jetzt noch stärker auf die Verbesserung der politischen Partizipation der Bürger konzentrieren“, schlägt er vor. Damit meint er die direkte Demokratie auf Bundesebene, die Direktwahl der Regierungschefs der Länder und die Beseitigung der starren Wahllisten.