Essen. Die Frage, ob ein Christ militärische Einsätze und Friedensethik zusammenbringen kann, hat den Evangelischen Kirchentag in Dresden stark bewegt. Plakativ wurde da ein Gegensatz aufgeworfen zwischen Beten oder Bomben. Sehr viel differenzierter sprach Verteidigungsminister Thomas de Maizière davon, dass diejenigen, die Entscheidungen zu treffen haben, sich schuldig machen können. Jedoch gab er auch zu bedenken: „Aber ohne Schuld gibt es keine Freiheit.“ Wie den Zivilisten und Protestanten de Maizière so treibt aber auch den ehemaligen Militär Wolfgang Schneiderhan das Thema Glaube und Gewalt, das Verhältnis zwischen dem fünften Gebot „Du sollst nicht töten“ und dem Krieg um.

Der Katholik war bis 2009 Generalinspekteur der Bundeswehr. Der frühere Verteidigungsminister zu Guttenberg hatte ihn im Zuge der Affäre um die Tanklastzüge im afghanischen Kunduz entlassen.

Frieden und Gerechtigkeit, sagt Schneiderhan im Gespräch mit der WAZ, das sei ein Auftragsmotiv für eine Armee, „das in bestimmten Situationen die Anwendung von Gewalt rechtfertigt“. Etwa, wenn es darum gehe, anderen Menschen dazu zu verhelfen, ein Leben in mehr Würde führen zu können. „Ich kann das für mich ordnen und ich konnte damit umgehen.“ Doch ganz so leicht, wie es sich anhört, war es anscheinend nicht, diese Spannung auszuhalten. Denn der frühere oberste Offizier gesteht auch ein: „Ich will nicht verhehlen, dass das die größte Belastung der letzten Jahre war.“

Gestützt habe er sich aber auch auf einen Satz, den der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt vor Jahren bei einem Gelöbnis vor jungen Soldaten ausgesprochen habe: Seid sicher, dass dieser Staat euch nicht missbraucht. „Und ich bin mir da immer sicher gewesen“, sagt Schneiderhan mit fester Stimme.

Niemals ein Vorwurf

Dennoch habe ihn die Frage nach der Rechtfertigung für den Einsatz von Gewalt immer beschäftigt. „Am meisten ist mir das klar geworden, wenn man mit Hinterbliebenen zusammen gekommen ist. Ich hatte da viele dunkle Stunden.“ Geholfen habe ihm, dass er in solchen Gesprächen niemals mit einem Vorwurf konfrontiert worden sei. „Das, was die Angehörigen am meisten bewegte, war die Frage: Können Sie mir sagen, ob mein Sohn ein guter Soldat war? War er ein guter Kamerad?“

Und dann gibt es da noch ein sehr persönliches Thema. Es ist der Tod des ersten deutschen Soldaten, der in Afghanistan in einem Gefecht ums Leben kam, im April 2009. „Er liegt auf dem Friedhof meiner Heimatgemeinde in Oberschwaben“, sagt Schneiderhan, „in der Nähe meines Vaters“. Es klingt, als wolle er eine Beziehung herstellen, andeuten, wie sehr der Tod dieser beiden Menschen mit seinem eigenen Leben verknüpft ist. „Die Trauerfeier für den Soldaten fand in der Kirche statt, in der ich zur Kommunion ging“, fügt er hinzu. Und es verstärkt den Eindruck der Berührung zweier Lebenswege. Heute, sagt Schneiderhan, treffe er den Vater des Russland-Deutschen gelegentlich auf dem Friedhof, er sei mit der Familie in Kontakt geblieben. „Es hilft auch bei dem Verarbeiten.“

Es hat mich nicht aus der Bahn geworfen

Zurückblicken auf die Wochen und Monate, die der Entlassung im November 2009 folgten, will er allerdings nicht. Für ihn, so hat es den Anschein, liegt es inzwischen weit zurück. „Das ist ein abgeschlossenes Thema“, sagt der 64-Jährige. „Der Abschied hat mir nicht gut gefallen. Aber es hat mich nicht aus der Bahn geworfen.“ Und dennoch: „Ein richtig markantes Versagen konnte ich bei mir nicht entdecken. Aber es ist vorbei.“

Und wenn sich der einstige oberste Soldat noch einmal unter die Truppe mischt, wie etwa kürzlich bei einer Soldaten-Wallfahrt, wird er sogleich umlagert. Ein ehemaliger Vorgesetzter, der offensichtlich noch immer beliebt ist. Vielleicht auch, weil er so keinem der Klischees entspricht, die man gemeinhin mit einem Karriere-Soldaten verbindet.