Oberhausen. . NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft bereitet die NRW-SPD auf einen wirtschaftsfreundlicheren Kurs vor. Beim Zukunftskongress ihrer Partei in Oberhausen warnte sie vor der „Deindustrialisierung“ des Landes. Das Ende der Harmonie mit den Grünen?
Hannelore Kraft scheint ihre Garderobe bereits auf den Abendtermin abgestimmt zu haben, als sie am Samstagmorgen im Oberhausener Industriemuseum ans Rednerpult tritt. Um den Hals trägt die Ministerpräsidentin einen Seidenschal in Blau und Weiß – den Vereinsfarben der beiden Pokalfinalisten Duisburg und Schalke. Solch volkstümliche Gesten fielen der SPD-Politikerin aus Mülheim, die viel auf ihre Bodenständigkeit hält, in ihrem ersten Regierungsjahr nie sonderlich schwer. Doch hier beim „SPD-Zukunftskongress“ in Oberhausen, einer Art Neuausrichtung des Landesverbandes vor dem Parteitag im September, soll es um mehr gehen, gewissermaßen um eine politische Repertoire-Erweiterung.
Bedeutungsvoll ist Krafts erste „Grundsatzrede“ angekündigt. Viele Parteigranden, darunter Oberbürgermeister und bekannte Gesichter wie Vizekanzler a. D. Franz Müntefering, sind in die alte Maschinenhalle gekommen. Die Ministerpräsidentin nutzt die Gelegenheit, um sich so deutlich wie selten zuvor als Anwältin des Wirtschaftsstandorts NRW zu profilieren. Ging es bislang vorwiegend um soziale Wohltaten und maximale Harmonie mit dem grünen Koalitionspartner, bemüht sich Kraft nun um industriepolitische Konturen.
Kämpfen für den Wirtschaftsstandort
„Wir werden dafür kämpfen müssen, Industrie- und Wirtschaftsstandort bleiben zu können“, ruft sie. Die hastigen Beschlüsse der schwarz-gelben Bundesregierung zum Atomausstieg bereiteten ihr Sorgen. Es dürften keine „Hoppla-Hop-Entscheidungen getroffen werden, nur weil die Kanzlerin aus der Bredouille kommen muss“, wettert Kraft. „Deindustrialisierung darf nicht die Folge der Energiewende sein.“ Und die fast abgeschriebene Kohle werde noch für Jahrzehnte wichtiger Brennstoff zur Stromgewinnung bleiben.
Kraft will raus aus der Image-Ecke der ausgabefreudigen Sozialarbeiterin. Ihre umstrittenen teuren Wahlversprechen wie die Abschaffung von Studiengebühren und Kita-Beiträgen oder die millionenschweren Investitionen in die kommunale Infrastruktur verkauft sie nun als Teil einer ökonomischen Gesamtstrategie: Nur so ließen sich Fachkräftemangel der Wirtschaft und soziale Folgekosten des Staates eindämmen. Ihr gewaltiger Anspruch: „Wir werden damit anfangen, den vorsorgenden Sozialstaat in die Wirklichkeit zu übertragen.“
Bislang war die Großindustrie auf Distanz
Mit dem Selbstbewusstsein, nun schon länger im Amt zu sein als mancher beim Start des Experiments Minderheitsregierung geglaubt hatte, schärft Kraft ihrer Partei ein: „Wir müssen als Sozialdemokraten vorangehen und ganzheitlich denken.“ In der bislang distanzierten NRW-Großindustrie wird man gespannt verfolgen, wie dieser dritte Weg zwischen Wirtschafts- und Sozialpolitik dann mit konkreten Gesetzen ausgestaltet werden soll.