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In der Nacht zu Montag hat die ägyptische Polizei wieder scharf geschossen. Mindestens 240 Menschen sollen verletzt worden sein. Demonstranten hatten vor der israelischen Botschaft in Kairo anti-israelische Parolen skandiert und israelische Fahnen verbrannt. In den Tagen zuvor kam es in der ägyptischen Hauptstadt immer wieder zu blutigen Zusammenstößen zwischen Moslems und koptischen Christen. Aus der tunesischen Hauptstadt werden Straßenschlachten und Massenfestnahmen gemeldet. In Libyen und Syrien verteidigen die diktatorischen Regime mit Zähnen und Klauen ihre Macht. In Marokko, wo am Montag Außenminister Westerwelle weilte, löste die Polizei vor dem hohen Besuch gewaltsam Demonstrationen auf. In Algerien starben am Wochenende mehrere Menschen bei Zusammenstößen zwischen radikalen Islamisten und Sicherheitskräften. Es scheint kalt geworden zu sein im „arabischen Frühling“.
„Ein steiniger Weg“
Die Entwicklung kommt für Asiem el-Difraoui nicht überraschend. „Es war immer klar, dass der Weg lang, steinig und mit enormen Rückschlägen gepflastert sein würde“, sagt der Nahost- und Afrikaexperte der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Aktuell macht ihm vor allem die Entwicklung in Ägypten Sorgen, wo Salafisten auf dem Vormarsch sind, radikale Islamisten, die transnational vernetzt sind. Gegen diese fundamentalistischen Puristen sind die von Ex-Präsident Mubarak so gnadenlos unterdrückten Muslimbrüder geradezu Liberale. „Die Salafisten stoßen jetzt in die neuen Freiräume vor, die demoralisierte und demobilisierte Polizei setzt ihnen wenig entgegen“, so el-Difraoui. Der Experte sieht Europa in der Pflicht. „Die Menschen wollen schnelle Veränderungen, die Verantwortlichen wissen aber nicht genau, wie es weiter gehen soll. Ägypten und Tunesien brauchen deshalb Unterstützung.“
Darum ist es derzeit nicht gut bestellt. Die Europäische Union beschäftigt sich mit sich selbst und der Eurokrise, die Umwälzungen in der arabischen Welt sind dieser Tage allenfalls Thema, wenn es um die Frage geht, wer wie viele Flüchtlinge aufnehmen sollte. Noch im Februar hatte sich die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton für Milliarden-Kredite für Tunesien und Ägypten stark gemacht, bislang floss nur humanitäre Soforthilfe. Alles zu wenig, findet der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Gernot Erler.
Erler schlägt umfassende Hilfe vor: „Wir sollten die europäischen Märkte für Produkte aus der arabischen Welt öffnen, zeitlich begrenzte Arbeitsmöglichkeiten zur Verfügung stellen und Ausbildungs- und Stipendienprogramme auf den Weg bringen.“ Erler räumt ein, dass man „sich mit solchen Maßnahmen nicht nur Freunde macht“. Aber: Für die junge Generation, die sich gegen ihre Regime erhoben habe, seien die ersten Schritte in Richtung Demokratie und Rechtsstaatlichkeit derzeit verbunden mit wachsender Arbeitslosigkeit und einer sich verschlechternden wirtschaftlichen Lage. „Geschieht jetzt nichts, besteht die Gefahr, dass radikale Organisationen Zulauf bekommen“, warnt Erler. Europa müsse „entschlossen und beherzt handeln“, fordert der SPD-Politiker, und Deutschland müsse dabei eine Führungsrolle spielen.
„Hilfestellung leisten“
Ähnlich argumentiert SWP-Experte el-Difraoui: „Die Europäer sollten in größeren Maßstäben denken und eine Art Marshallplan für die arabische Welt entwerfen“, schlägt er vor. „Wir müssen Hilfestellung leisten bei sozioökonomischen Reformen, dem Ausbau des Bildungssystems, ganz konkret erklären, wie Demokratie und Rechtsstaatlichkeit funktionieren, vor allem auf Graswurzelniveau.“ El-Difraoui ist klar, dass so etwas Milliarden kosten wird. „Tun wir aber nichts, müssen wir uns nicht wundern, wenn es irgendwann zu Massenunruhen kommt und bei Wahlen populistische und radikale Kräfte ans Ruder kommen.“