Karlsruhe.. Das Bundesverfassungsgericht hat die Sicherungsverwahrung für Schwerkriminelle für verfassungswidrig erklärt. „Hochgefährliche Straftäter dürfen unter engen Voraussetzen weiter verwahrt werden“, sagte Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle.
Das Bundesverfassungsgericht hat alle bestehenden Regelungen zur Sicherungsverwahrung für verfassungswidrig erklärt. Extrem gefährliche Straftäter dürfen aber zum Schutz der Bevölkerung bis zu einer Neuregelung weiter eingesperrt bleiben, entschied das Gericht in einem am Mittwoch verkündeten Urteil. In sogenannten Altfällen muss die besondere Gefährlichkeit der Betroffenen bis Jahresende geprüft werden. "Kurz gefasst bedeutet das Urteil: Hochgefährliche Straftäter dürfen unter engen Voraussetzen weiter verwahrt werden, die anderen dürfen freigelassen werden", sagte Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle bei der Verkündung.
Automatisch muss nach dem Urteil also kein Sicherungsverwahrter freigelassen werden. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) rechnet dennoch in Kürze mit der Freilassung einer "großen Anzahl" gefährlicher Gewalttäter. Insgesamt befinden sich rund 500 Menschen in Deutschland in Sicherungsverwahrung.
Laut Urteil verstoßen die früheren Regelungen zur rückwirkenden Verlängerung der zuvor auf zehn Jahre befristeten Sicherungsverwahrung sowie zu ihrer nachträglichen Anordnung ebenso gegen das Freiheitsrecht der Betroffenen wie die Gesetzesreform vom Dezember 2010. Das Gericht begründete dies damit, dass sich die Sicherungsverwahrung, die nur dem Schutz der Bevölkerung vor gefährlichen Tätern dient, nicht deutlich genug von einer Strafhaft unterscheidet. Dieses sogenannte Abstandsgebot hatte bereits der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg im Dezember 2009 eingefordert.
Sicherungsverwahrung bis Mai 2013 reformieren
Der Gesetzgeber wurde mit weitreichenden Vorgaben verpflichtet, die Sicherungsverwahrung bis Mai 2013 grundlegend zu reformieren und ein „freiheitsorientiertes und therapiegerichtetes Gesamtkonzept“ zu entwickeln. Die Betroffenen müssen demnach etwa durch qualifizierte Fachkräfte so intensiv therapeutisch betreut werden, dass sie „eine realistische Entlassungsperspektive“ haben. Ihr Leben in Verwahrung muss zudem so weit wie möglich „den allgemeinen Lebensverhältnissen angepasst“ und ihnen familiäre und soziale Außenkontakte ermöglicht werden.
Von den verbliebenen rund 70 Altfällen, die sich nach früheren Regelungen derzeit noch in Sicherungsverwahrung befinden, dürften nun viele bis Jahresende auf freien Fuß kommen. Laut Urteil können nur noch die Täter weiter festgehalten werden, von denen eine „hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten“ ausgeht und die zudem an einer „zuverlässig nachgewiesenen psychischen Störung“ leiden.
Therapieunterbringungsgesetz geht in richtige Richtung
Die Richter verwiesen in diesem Zusammenhang darauf, dass auch nach Artikel 5 der Europäischen Menschenrechtskonvention eine nachträglich verlängerte oder angeordnete Sicherungsverwahrung nur unter der Voraussetzung einer psychischen Störung zulässig ist. Das seit Januar geltende Therapieunterbringungsgesetz greift diesen Gedanken den Richtern zufolge bereits auf. Auf dessen Grundlage könnten dann psychisch gestörte und weiterhin gefährliche Rückfalltäter in therapeutischen Einrichtungen verwahrt werden.
Leutheusser will Urteil zu Sicherungsverwahrung bald umsetzen
Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Sicherungsverwahrung will Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) die Auflagen der Verfassungshüter rasch umsetzen. "Bund und Länder sind jetzt gefordert, dem Abstandsgebot zwischen Strafhaft und Sicherungsverwahrung besser Rechnung zu tragen", erklärte die Ministerin am Mittwoch in Berlin. Die Justizministerkonferenz von Bund und Ländern im Mai biete die erste Gelegenheit, sich mit den Auswirkungen dieser Entscheidung zu befassen.
Leutheusser-Schnarrenberger verwies darauf, dass das Karlsruher Urteil im Wesentlichen den Vollzug der Sicherungsverwahrung betreffe. Die Voraussetzungen, unter denen ein Straftäter in Sicherungsverwahrung genommen werden kann, seien hingegen nicht beanstandet worden.
Kutschaty zufrieden mit Urteil zur Sicherungsverwahrung
Mit Erleichterung hat der nordrhein-westfälische Justizminister Thomas Kutschaty auf das Karlsruher Urteil zur Sicherungsverwahrung reagiert. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts bringe Rechtsklarheit, sagte der SPD-Politiker am Mittwoch in Düsseldorf. Nun sei der Bundesgesetzgeber gefordert, auf Grundlage der Vorgaben der Richter "die völlig unübersichtlich gewordene Gesetzeslage zur Sicherungsverwahrung in Gänze klar und eindeutig neu zu regeln". (dapd/afp/rtr)