Islamabad. . Nur eine Woche vor der Kommando-Aktion gegen Osama bin Laden durchkämmten pakistanische Sicherheitsbehörden den letzten Zufluchtsort des Terroristen, Abbottabad. Den El-Kaida-Chef übersahen sie dabei allerdings – absichtlich?

Es war eine der wichtigsten Zeremonien der pakistanischen Streitkräfte. General Ashfaq Kayani höchstpersönlich nahm am Ostersamstag in der Kakul Militärakademie in Abbottabad die Parade der Kadetten ab, die ihre Abschlussprüfung bestanden hatten. „Wir haben das Rückgrat der Extremisten gebrochen“, verkündete der Armeechef – nur ein paar ­hundert Meter entfernt vom „Waziristan House“, wie die Nachbarn das Versteck von Osama bin Laden nannten.

Wie vor jedem Besuch war zuvor die Umgebung auf Herz und Nieren überprüft worden. Gully-Deckel wurden hochgehoben, um versteckte Bomben aufzuspüren. Sicherheitspersonal ging von Haus zu Haus und fragte die Bewohner aus.

„Ich habe keine Erklärung dafür“

Seit den Mordanschlägen auf den ehemaligen Diktator Pervez Musharraf lassen die Sicherheitskräfte des Landes kaum eine Vorsichtsmaß­nahme außen vor, wenn der Armeechef sein Hauptquartier in Rawalpindi verlässt. Islamabad klammert sich nun eisern an die Behauptung, dass Osama bin Laden in knapp einem Kilometer Entfernung von der Militärakademie übersehen worden sei.

„Ich habe keine Erklärung dafür, wieso uns das entgangen ist“, sagt ein hochrangiger Vertreter des pakistanischen Geheimdienstes ISI, „diesmal waren wir nicht so gut.“ Der Mann weiß selbst, dass er ziemlich lahm klingt. Talat Masood, ein ehemaliger Generalleutnant und Staatssek­retär, kann kaum fassen, dass die Behörden nichts gewusst haben sollen: „Es gibt nur zwei Erklärungen. Entweder totale Unwissenheit oder Komplizenschaft.“

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Immer wieder verweist Islamabad darauf, dass 170.000 Soldaten – mehr als die 160.000 Mann ausländischer Truppen am Hindukusch – entlang der Grenze zu Afghanistan stationiert sind. Mehr als 30.000 Menschen starben während der vergangenen ­Jahre in Pakistan bei Terror­anschlägen. Fast 1000 ausländische Terroristen wurden seit 2001 in Pakistan verhaftet, darunter Khalid Sheikh Mohammed, einer der Chefplaner der Attentate vom 11. September 2001. Erst im Ja­nuar erwischte Pakistans Polizei just in Abbottabad Umar Patek, der hinter dem Bali-­Attentat von 2002 steckte.

„Er wurde versteckt“

Alle diese Informationen werfen Fragen über Fragen auf, wie es Osama bin Laden gelungen sein soll, so lange unerkannt im Herzen Pakistans unterzuschlüpfen.

Die Antwort liegt nahe. „Für mich ist absolut klar, dass er von Sicherheitskräften versteckt wurde“, sagt ein einheimischer Journalist, „sie haben diese Leute früher gebraucht und glauben, sie auch zukünftig noch brauchen zu können.“

Während der sowjetischen Invasion Afghanistans kämpften die islamischen Untergrundkämpfer mit westlicher Unterstützung gegen Moskau. Später nutzte Pakistan die ­gleiche Strategie, um den indischen Teil Kaschmirs zu destabilisieren. In der zweiten Hälfte der 90er-Jahre half Pakistan den Taliban bei dem Versuch, Afghanistan unter Kontrolle zu bringen. Auch nach 2001 zog Pakistan, längst Teil der weltweiten Allianz gegen den Terror, feine Trennungslinien. Einheimische Extremisten, die in Kaschmir eingesetzt waren, wurden in Ruhe gelassen, ausländische Mitglieder von El Kaida verhaftet.

Er bleibt ein Albtraum

Bei der US-Operation gegen bin Laden wurde klar, wie ­we­nig die USA ihrem Verbündeten trauen. Vor mehr als zehn Jahren war Osama bin Laden einer von Bill Clinton angeordneten Attacke mit Cruise Missiles entkommen, weil Pakistan davon erfuhr und den „Sheikh“ warnte. Diesmal wurde Pakistans Präsident Zardari erst informiert, als das Unternehmen schon lief.

Ex-General Masood glaubt, dass Pa­kistans Sicherheitskräfte nichts wussten. „Es ist nicht vorstellbar, dass sie ­jemand deckten, der ihre ­eigenen Leute ermordet hat. Außerdem hätte er kaum die Familie dabei gehabt, wenn er von ihnen versteckt wurde.“

Die Tageszeitung „Express ­Tribune“ titelte am Dienstag: „Sogar tot bleibt Osama ein Albtraum für Pakistan.“

Osama bin Laden ist tot

Er war der meistgesuchte und wohl gefürchtetste Terrorist der Welt - jetzt ist Osama bin Laden tot.
Er war der meistgesuchte und wohl gefürchtetste Terrorist der Welt - jetzt ist Osama bin Laden tot. © AP
US-Präsident Barack Obama bestätigte in der Nacht zu Montag in einer TV-Ansprache, ...
US-Präsident Barack Obama bestätigte in der Nacht zu Montag in einer TV-Ansprache, ... © AP
... dass der Chef des Terrornetzwerks El Kaida bei einem Feuergefecht in Pakistan von einem US-Kommando getötet wurde. Eine DNA-Analyse habe die Identität des Toten bestätigt. Über das Internet machte ein verstörendes Foto die Runde, ...
... dass der Chef des Terrornetzwerks El Kaida bei einem Feuergefecht in Pakistan von einem US-Kommando getötet wurde. Eine DNA-Analyse habe die Identität des Toten bestätigt. Über das Internet machte ein verstörendes Foto die Runde, ... © AP
... das den Terroristenführer zeigen sollte. Bei dem Foto ...
... das den Terroristenführer zeigen sollte. Bei dem Foto ... © AFP
... handelte es sich jedoch um eine Fälschung, die bereits im Jahr 2009 im Internet kursierte.
... handelte es sich jedoch um eine Fälschung, die bereits im Jahr 2009 im Internet kursierte. © AP
"Der Gerechtigkeit wurde Genüge getan", sagte der US-Präsident. Er selbst, so Obama, habe den geheimen Einsatz angeordnet. © REUTERS
Die Nachricht vom Tod des Terroristen markiert das Ende einer Jagd, die nahezu zehn Jahre lang angedauert hat.
Die Nachricht vom Tod des Terroristen markiert das Ende einer Jagd, die nahezu zehn Jahre lang angedauert hat. © AP
Der Terrorist Bin Laden ...
Der Terrorist Bin Laden ... © AP
... wird von den USA für die Terroranschläge vom 11. September 2001 verantwortlich gemacht. Bei den gezielten Flugzeugabstürzen ...
... wird von den USA für die Terroranschläge vom 11. September 2001 verantwortlich gemacht. Bei den gezielten Flugzeugabstürzen ... © Reuters
... auf das World Trade Center in New York ...
... auf das World Trade Center in New York ... © Reuters
... und das Pentagon starben mehr als 3000 Menschen.
... und das Pentagon starben mehr als 3000 Menschen. © Reuters
Seit dem stand Bin Laden auf der
Seit dem stand Bin Laden auf der "Most Wanted"-Liste des FBI ganz oben. 50 Millionen Dollar hatten die USA für Hinweise ausgesetzt, die zu seiner Ergreifung führen. Doch aus dem Nichts ... © Reuters
... meldete sich der Islamisten-Führer immer wieder in Video- oder Tonbandbotschaften zu Wort ...
... meldete sich der Islamisten-Führer immer wieder in Video- oder Tonbandbotschaften zu Wort ... © REUTERS
... und verhöhnte seine Verfolger.
... und verhöhnte seine Verfolger. © REUTERS
Als zwölftes von mehr als 50 Kindern eines reichen saudiarabischen Bauunternehmers wurde Bin Laden vermutlich im Jahr 1957 in Riad geboren.
Als zwölftes von mehr als 50 Kindern eines reichen saudiarabischen Bauunternehmers wurde Bin Laden vermutlich im Jahr 1957 in Riad geboren. © AP
Ein Jahr vor Ende der sowjetischen Invasion in Afghanistan 1989 begann Bin Laden mithilfe von Gefolgsleuten mit dem Aufbau des Netzwerks
Ein Jahr vor Ende der sowjetischen Invasion in Afghanistan 1989 begann Bin Laden mithilfe von Gefolgsleuten mit dem Aufbau des Netzwerks "El Kaida" ("Das Fundament"). © AP
"Er war ein junger Mann, der sich enthusiastisch für den heiligen Krieg einsetzte", beschrieb ihn der saudiarabische Ex-Geheimdienstchef Prinz Turki el Feisal in einem Fernsehinterview. "Er sprach wenig und erhob nie seine Stimme. Kurzum, er war ein netter Kerl." © AP
Als 1991 eine internationale Koalition unter Führung der USA den Krieg gegen Irak führte, erklärte er Washington den
Als 1991 eine internationale Koalition unter Führung der USA den Krieg gegen Irak führte, erklärte er Washington den "Dschihad", den religiös motivierten Krieg. © AFP
Die Neuigkeit, dass Bin Laden tot ist, ging in kurzer Zeit rund um die Welt. In Neu Delhi brannten Plakate mit seinem Konterfei, ...
Die Neuigkeit, dass Bin Laden tot ist, ging in kurzer Zeit rund um die Welt. In Neu Delhi brannten Plakate mit seinem Konterfei, ... © AFP
... vor dem Weißen Haus in Washington versammelten sich jubelnde Amerikaner.
... vor dem Weißen Haus in Washington versammelten sich jubelnde Amerikaner. © AP
Sie feierten das erfolgreiche Ende der Suche nach dem Top-Terroristen.
Sie feierten das erfolgreiche Ende der Suche nach dem Top-Terroristen. © AFP
Der frühere US-Präsident George W. Bush sprach von einem
Der frühere US-Präsident George W. Bush sprach von einem "Sieg für Amerika". © REUTERS
In die Erleichterung mischt sich aber auch Sorge um mögliche Terror-Reaktionen von Bin Ladens Anhängern.
In die Erleichterung mischt sich aber auch Sorge um mögliche Terror-Reaktionen von Bin Ladens Anhängern. © AP
Die USA warnten ihre im Ausland befindlichen Staatsangehörigen vor möglichen Vergeltungsmaßnahmen  versetzten ihre Botschaften weltweit in Alarmbereitschaft.
Die USA warnten ihre im Ausland befindlichen Staatsangehörigen vor möglichen Vergeltungsmaßnahmen versetzten ihre Botschaften weltweit in Alarmbereitschaft. © AP
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