Essen. . Johannes Paul II. brach viele Rekorde. Einer davon betrifft die kirchlichen Ehrungen. Der 2005 gestorbene Papst sprach mehr Katholiken selig und heilig, als alle seine Vorgänger der vergangenen 400 Jahre zusammen.

Johannes Paul II., der jetzt selig gesprochen wird, sprach während seines Pontifikats 1345 Christen selig und 482 heilig. Alle seine Vorgänger in den vergangenen 400 Jahren zusammen sprachen nur halb soviel Menschen heilig. Einige von ihnen sind bis heute umstritten.

Auf sehr breite Zustimmung vor allem im Ruhrgebiet hingegen stieß die kirchliche Ehrung für Nikolaus Groß, den Bergmann, katholischen Gewerkschafter, Journalisten und Widerstandskämpfer aus Hattingen (1898-1945). 1944 wurde er im Zusammenhang mit dem Attentat auf Hitler verhaftet und 1945 in Plötzensee erhängt. „Nikolaus Groß ist eine Identifikationsfigur für das Ruhrgebiet“, erklärt Thomas Söding, Professor für Neues Testament an der Ruhr-Universität Bochum. Mit der Seligsprechung 2001 habe der Papst aber nicht nur den Mann aus dem Widerstand geehrt, sondern auch eine Positionierung der Kirche in der sozialen Frage vorgenommen, er habe sie an die Seite der Arbeiter gestellt.

Insgesamt, weiß der Wissenschaftler, habe Johannes Paul II. eine offensive Selig- und Heiligsprechungspraxis betrieben, „das heißt, er hat nicht nur viele Personen seliggesprochen, er hat die Verfahren an sich gezogen und die Ehrungen groß in Rom gefeiert.“ Benedikt XVI. hingegen macht das nur noch selten selbst.

Politische Ziele verfolgt

Mit seinen Selig- und Heiligsprechungen habe Johannes Paul klare politische Ziele verfolgt, sagt Thomas Söding. Erstens: Er habe sie Internationalisiert -- Katholiken aus allen Erdteilen wurden geehrt. „Zweitens: Eine Aufarbeitung der Nazi-Vergangenheit -- der Nazi- und der Kriegsverbrechen.“

Der Bochumer Forscher geht davon aus, dass das auch mit der Biografie des Papstes zusammenhängt, der unter der Nazi-Diktatur in Polen zu seinem Glauben fand. Zudem seien Selig- und Heiligsprechungen ein Versuch, Vorbilder für Katholiken zu finden. Der polnische Papst habe sie auch genutzt, um an Vergangenes anzuknüpfen und „zu fragen: Wo stehen wir heute?“

Eine Ausnahme hiervon bildet allerdings die Seligsprechung von Papst Pius IX. (1846-78). Er begann mit Reformen und endete mit dem Gegenteil. Mit seiner Schrift „Syllabus errorum“ (Über zu verwerfende Irrtümer) versuchte er, die Kirche gegen die moderne Welt, gegen Religionsfreiheit und die Trennung von Staat und Kirche, abzuschotten. Kritiker werfen ihm vor, Antisemit gewesen zu sein. Mit ihm und seinem Ersten Vatikanischen Konzil sind die Dogmen von der Unfehlbarkeit des Papstes und der Unbeflecken Empfängnis Marias verbunden. Johannes Paul sprach damals gleichzeitig ihn und den Papst des Zweiten Konzils, Johannes XXIII., selig. Er wies damit auf die Kontinuität der Konzilien. Beobachter vermuteten jedoch, er habe so auch von dem Protest gegen Pius ablenken wollen.

Volkes Stimme gab den Ausschlag

Der Bochumer Theologie-Professor stößt sich allerdings noch an einem anderen Punkt. „Wieso“, fragt er, „sprechen die Päpste seit dem 19. Jahrhundert ihre Vorgänger alle heilig?“ Das sei ein Systemzwang, aus dem Rom heraus müsse.

Die bevorstehende Seligsprechung von Johannes Paul II. allerdings sei da gänzlich anders gelagert. Den Wunsch nach dieser Ehrung habe nicht der Amts-Nachfolger als erster geäußert, sondern das Volk, und zwar schon direkt nach dessen Tod. Der Slogan „Santo Subito“ hallte damals durch ganz Rom. Und das, sagt Söding, „ist genau das, was den Ausschlag gab: Volkes Stimme.“

„Richtig umstritten war wohl nur die Heiligsprechung von Josemaria Escriva“, sagt Sigrid Grabmeier von der kritischen Kirchenbewegung „Wir sind Kirche“. Escriva (1902-75), dem Gründer der sehr rechten Laien-Organisation Opus Dei (Werk Gottes), wird eine gewisse Nähe zum faschistischen Franco-Regime im Spanien der 1930er Jahre nachgesagt.

Die Wurzeln der Kirche und die Schattenseiten

Kritiker werfen dem Opus Dei sektenhafte Strukturen vor. „Wer einen Orden gründet“, weiß der Bochumer Professor Thomas Söding, „hat bessere Chancen, heilig gesprochen zu werden.“

Auf einer gänzlich anderen Ebene steht dagegen die Heiligsprechung von Edith Stein, der Juden-Christin. Die Nazis ermordeten die zum katholischen Glauben konvertierte Ordensfrau 1942 im Vernichtungslager Auschwitz. Für Söding ist die Ehrung in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. „Nicht nur weil sie eine Frau ist. Es sind gar nicht so wenige Frauen, die die Kirche auf diese Weise geehrt hat“, sagt er. Bei Edith Stein stelle sich auch die Frage, ob sie als Märtyrerin, also als katholische Ordensfrau starb, oder als eine von den Nazis verfolgte getaufte Jüdin. „Johannes Paul hat hier Feingefühl gezeigt und nicht versucht, sie für die Kirche zu vereinnahmen.“ Er habe die Ehrung eher als Zeichen gesehen zu fragen, wo die Wurzeln der Kirche liegen und „wo ihre Schattenseite“.