Essen. . Am 13. August jährt sich der Bau der Berliner Mauer zum 50. Mal. Die WAZ wird zunächst bis zu diesem Stichtag in unregelmäßigen Abständen über die Ereignisse im Vorfeld dieses historischen Ereignisses berichten: über den weiter anschwellenden Flüchtlingsstrom ebenso wie über die sich zuspitzende politische Krise.

Die Angelegenheit gilt als geheime Kommandosache. Ein gerade in den Westen übergelaufener Abteilungsleiter des DDR-Außenministeriums, der gleich nach seinem Seitenwechsel in die USA geflogen wurde, berichtet von Plänen der DDR-Oberen, die den US-Geheimdienst genauso elektrisieren wie Politiker in der Bundesrepublik. Schon seit Januar 1961, erzählt der Mann, feile die SED-Führung in Ost-Berlin an dem Plan, eine Mauer entlang der Sektorengrenze zu errichten und so den Ostteil vom Westteil der Stadt abzuriegeln.

Es ist in diesen Maitagen das erste belegte Indiz für den Westen, dass sich die DDR rigoros abschotten will.

Spekuliert wird über ein solches Horror-Szenario freilich schon länger. Hauptgrund dafür: Die DDR blutet gleichsam aus. In Scharen flüchten die Menschen aus dem selbst ernannten Arbeiter- und Bauernstaat. Zehntausende sind es seit 1949: Studenten und Arbeiter, Hochschulprofessoren und Lehrer, Ärzte und Wissenschaftler. „Außerdem verließen zwischen fünf und zehn Prozent der Abiturienten des jeweiligen Jahrgangs die DDR“, schreibt der Berliner Historiker und DDR-Spezialist Ilko-Sascha Kowalczuk. Die meisten nutzen die offene Grenze zwischen Ost- und West-Berlin als Schlupfloch.

Allein zu Ostern 1961 registrieren die West-Berliner Behörden zwischen Gründonnerstag und Ostermontag 5200 DDR-Flüchtlinge. Ende April flüchtet ein Bauer aus dem Dörfchen Lübars im Berliner Bezirk Reinickendorf mitsamt seinen 500 Schafen in den Westen. Insgesamt flüchten allein im Mai 1961 nach offizieller Zählung 17 791 Menschen aus der DDR – die Hälfte von ihnen sind Jugendliche unter 25 Jahren. Der Ruf nach freien Wahlen im Osten wird laut, die DDR-Bürger klagen über die schlechte Versorgung mit Lebensmitteln und anderen Waren. Viele erleben zudem beim Wechsel vom Ost- in den Westteil Berlins den krassen Gegensatz zum Wirtschaftswunder jenseits der Sektorengrenze.

Dabei hatten sich die DDR-Oberen den real existierenden Sozialismus ganz anders vorgestellt. Nach dem V. Parteitag der SED im Juli 1958 bemühte sich die Parteiführung verstärkt darum, bei den DDR-Bürgern ein „sozialistisches Bewusstsein“ zu verankern, um so den „Aufbau des Sozialismus“ voranzutreiben. „Bis 1961“, so Historiker Kowalczuk, „sollte die DDR die Bundesrepublik ,erreichen und übertreffen’.“ Doch die Realität sah anders aus.

Kein Rückhalt mehr

„Die Bereitschaft der Ost-Berliner, sich für ihren Staat einzusetzen, verringerte sich bis zum Sommer 1961 signifikant, zeitweilig sogar dramatisch“, analysiert der Berliner Professor für Zeitgeschichte Michael Lemke in dem neuen Buch „Die Mauer – Errichtung, Überwindung, Erinnerung“. „Die Kritik an der SED-Herrschaft“, so Lemke, „erreichte eine seit Jahren, eigentlich seit dem Volksaufstand 1953, nicht mehr beobachtete Schärfe.“

Der Plan vom Bau einer Mauer nimmt in der DDR-Führung immer konkretere Formen an.