Düsseldorf. .

Vor 50 ­Jahren hielt Willy Brandt seine historische Rede, in der er den „blauen Himmel über der Ruhr“ forderte. Hannelore Kraft, Ministerpräsidentin in NRW und stellvertretende SPD-Vorsitzende, erinnert in einem Beitrag für die WAZ an Brandts Rede.

„Über Nacht wurden die blühenden Obstbäume zu totem Holz. Giftwolken hatten sich in den frühen Morgenstunden auf die 130 Kleingärten des Duisburger Stadtteils Neuenkamp gesenkt“. So hieß es 1961 in einem Zeitungs­artikel über das Ruhrgebiet, und dabei wurde nicht etwa über einen einmaligen Chemieunfall berichtet, sondern über eine in der Region damals ganz übliche Belastung.

Auch heute erinnern sich viele noch an rußbedeckte Autos – damals „Revierlack“ genannt. Doch mehr zählte, dass es nach dem Krieg wirtschaftlich wieder aufwärts ging, wichtiger erschienen die Arbeitsplätze, die durch Kohle und Stahl gesichert wurden.

Und in eine solche Zeit stellte Willy Brandt am 28. April 1961 – also vor 50 Jahren – die erstaunliche ­Forderung: „Der Himmel über dem Ruhrgebiet muss wieder blau werden!“ Viele konnten gar nicht glauben, dass es ihm ernst war mit einem Ziel, das den meisten damals ganz unerreichbar oder geradezu exotisch vorkam. Brandt klagte zwei Monate später über die Reaktionen: „Anstatt die ­Frage nach der Notwendigkeit zu stellen, hat man Kübel ­voller Hohn ausgeschüttet und be­hauptet, wir versprächen das Blaue vom Himmel.“

Alles andere als ein leeres Versprechen

Tatsächlich aber war Brandts Vision alles andere als ein leeres Versprechen. Sie markierte vielmehr den ­Be­ginn praktischer Umweltpolitik, wie sie schon in der Kanzlerschaft Brandts beispielsweise durch einen erstmalig eingerichteten Kabinettsausschuss für Umweltfragen oder ein Sofortprogramm für den Um­weltschutz umgesetzt wurde.

Ich glaube, dass wir 50 Jahre nach Brandts Rede gut daran tun, an seine Vision und an die historische Leistung ihrer ­Umsetzung zu erinnern. Denn vielen ist die Zuversicht in die Gestaltungskraft von Politik abhanden gekommen. Natürlich darf Politik sich nicht überschätzen. Es wäre weiterhin ganz falsch, das „Blaue vom Himmel“ zu versprechen.

Genau so falsch und gefährlich aber wäre es, hinter den Möglichkeiten zurückzubleiben und eine ganz unnötige politische Ohnmacht zu pflegen. Wir haben auch heute die Kraft, große Ziele zu erreichen, nicht von jetzt auf gleich, aber mit langem Atem.

Im Ruhrgebiet zeigt sich das gut auch am Beispiel der Emscher. Jahrzehntelang war sie ein Abwasserkanal, nun wird das gesamte Emschertal Schritt für Schritt renaturiert. Über die Region hinaus muss unsere Gestaltungskraft sich jetzt darin beweisen, wie wir erneuerbare Energie erzeugen und sparsam verwenden.

Die Vision eines Energiesystems, das ohne Atomkraft, das auch ohne Klimaschädigung arbeitet, ist nach meiner Überzeugung genau so realistisch wie es der „Blaue Himmel“ 1961 gewesen ist. Und diesmal müssen und werden wir sogar ein ganzes Stück schneller ans Ziel kommen. Deshalb wollen wir in Nordrhein-Westfalen den Klimaschutz zum ­Fortschrittsmotor machen.

Rauch und Flammen der Vergangenheit

Der Roman „Brennende Ruhr“ (1928) spielt aus kommu­nistischer Sicht in der Zeit des Ruhrkampfs, beschreibt aber auch die Tristesse des ewigen Qualms. Der Roman „Rauch an der Ruhr“ (1932) des Ingenieurs Felix Wilhelm Beielstein dagegen kreist um eine neue Schnellbahn und die Kohle-Verflüssigung als Hoffnungsträger gegen Revier-Krisen. Beide Romane gibt’s in Bibliotheken. Authentische Beschreibungen des verrauchten Himmels über der Ruhr liefern eher Repor­tagen, wie sie der Band „Heimspiele und Stippvisiten“ (hg. von Dirk Hallenberger, Verlag Henselowsky Boschmann, 208 S., 14,90 Euro) ver­sammelt, etwa Egon Erwin Kischs „Nest der Kanonenkönige“ und „Stahlwerk in Bochum“ und Joseph Roths „Der Rauch verbindet Städte“.

Mindestens genau so dringend wie ökologische oder technische Visionen müssen wir aber auch soziale Visionen verwirklichen, wenn wir eine gute Zukunft für unser ­Nordrhein-Westfalen sichern wollen.

Heute haben viel zu viele Kinder und Jugendliche in unserer Gesellschaft keine oder wenig Chancen auf ­Aufstieg. Auch damit dürfen wir uns nicht abfinden! Nein, wir dürfen kein Kind und ­keinen jungen Menschen mehr zu­rücklassen, wir müssen dafür kämpfen, dass ausnahmslos allen eine gute Ausbildung, eine berufliche Perspektive und die Möglichkeit zu Wohlstand offen stehen.

Zukunftsfähigkeit der Wirtschaft

Ich bin überzeugt, dass eine Politik, die darauf setzt, die Weichen in den Familien von Anfang an richtig zu stellen, in vielfacher Hinsicht richtig ist: Sie ist vor allem für die jungen Menschen richtig, um sie aus dem Abseits zu holen. Sie ist für die gesamte Gesellschaft richtig, die dadurch sozialer und auch leistungsfähiger wird. Sie ist für die Zukunfts­fähigkeit unserer Wirtschaft richtig, weil sie dem Fachkräftemangel entgegenwirkt. Und richtig ist sie für die öffent­lichen Haushalte, denen soziale Folgekosten erspart werden.

Die Anstrengungen für eine solche vorbeugende Politik sind mindestens so groß, aber auch mindestens so lohnend, wie die für den „Blauen Himmel über dem Ruhrgebiet“.