25 Jahre nach der Atomkatastrophe von Tschernobyl bröckelt die Schutzhülle des Unglücksreaktors. Korruption und Finanznot haben die Errichtung eines neuen Sarkophags über Jahre hinweg verzögert. Nun aber scheint der Weg frei für eines der gigantischsten Bauprojekte der Geschichte.

Unter der Führung des französischen Konsortiums Novarka soll bis 2015 das weltweit größte bewegliche Gebilde gebaut werden. Ein riesiges Stahlgewölbe – 108 Meter hoch und 29 000 Tonnen schwer – soll über die Reaktorruine geschoben werden und den havarierten Block für mindestens 100 Jahre sicher umschließen.

An dem Mammutprojekt hatten anfänglich auch deutsche Konzerne Interesse gezeigt, darunter die ehemalige RWE-Tochter Nukem. Der Essener Baukonzern Hochtief hatte sich vor Jahren aus dem Konsortium zurückgezogen, wie ein Sprecher des Unternehmens dieser Zeitung bestätigte. Neben Novarka erhielt der US-Konzern Holtec den Zuschlag. Das Unternehmen soll eine Art Atommülldeponie bauen.

Immer wieder hatten fehlende Finanzierungszusagen die Sicherung des Reaktors gefährdet. Die geschätzten Gesamtbaukosten von über 1,7 Milliarden Euro übernimmt eine internationale Gebergruppe unter Führung der Europäischen Wiederaufbaubank EBRD. Das Geld scheint nun sicher. Bislang hatte die internationale Staatengemeinschaft rund 860 Millionen Euro zugesagt. Auf einer Geberkonferenz in der ukrainischen Hauptstadt Kiew steuerte sie nun weitere 550 Millionen Euro bei. Damit gilt die Finanzlücke, die der ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch auf rund 740 Millionen Euro beziffert hatte, quasi als gedeckt.

Freiheitsstatue hätte Platz

Sarkophag für die Atomruine

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    Die Sicherung des Unglücksreaktors umfasst mehrere Bauprojekte. Die stählerne Gewölbehalle soll einige hundert Meter entfernt errichtet und später auf Schienen über die Ruine geschoben werden. In der Konstruktion hätte die Freiheitsstatue Platz. Wegen der immer noch herrschenden Strahlung sind die Arbeiten schwierig. In der Halle sollen später, wenn die Radioaktivität zurückgegangen ist, der explodierte Reaktor zerlegt und die Reste der erstarrten Kernschmelze geborgen werden.

    Gebaut werden soll auch ein Zwischenlager für die immer noch strahlenden Brennelemente, die an verschiedenen Stellen auf dem Gelände lagern. Offiziell befindet sich der Atomkomplex bei Tschernobyl im Nachbetrieb. Der letzte Reaktor, Block 3, wurde erst im Jahr 2000 abgeschaltet. Im Gegenzug hatte die internationale Gemeinschaft zugesichert, die vorläufige Sicherung der Ruine zu finanzieren.

    Verstrahlter Müll wurde planlos vergraben

    Der „Bogen von Tschernobyl“, wie der neue Sarkophag genannt wird, stellt die Konstrukteure jedoch vor schwere Aufgaben. Die Hinterlassenschaften des Unglücks erschweren die ersten Arbeiten. Nach dem Unfall im April 1986 hatten die als Aufräumarbeiter eingesetzten „Liquidatoren“ immer wieder verstrahlte Trümmerteile, Bergungsfahrzeuge und anderes Material planlos vergraben. „Wir wissen von 800 Stellen“, sagte Mikhail Umanetz, der 1987 bis 1992 Direktor des Kraftwerks war. Doch gerade bei Fundamentarbeiten befürchten die Unternehmen unliebsame Überraschungen.

    Die Zeit des alten Sarkophags läuft ab, sagt Umanetz. Die Dauerbestrahlung habe den Beton mürbe gemacht, Wasser dringe ein. „Die Ingenieure haben uns eine Garantie für lediglich 30 Jahre gegeben. Die Frist neigt sich dem Ende zu“, so Umanetz.

    In den letzten Jahren musste die Schutzhülle stabilisiert werden. Tausende Liquidatoren hatten sie nach dem Unfall innerhalb von sieben Monaten errichtet. Die Westwand des Reaktorgebäudes musste von 2002 bis 2008 durch ein Stahlgerüst abgestützt werden. Sie hatte sich um einen halben Meter geneigt.

    Unbekannte Risiken

    Auch wenn die Radioaktivität rund um den Reaktor langsam zurückgeht, bleiben unbekannte Risiken. 25 Jahre nach der Explosion ist noch immer unklar, welche Mengen an radioaktiven Brennstoffen in der Ruine liegen. Umanetz, der einst stellvertretender Energieminister der Ukraine war, sagte vor wenigen Tagen vor Journalisten in Kiew, dass im havarierten Kraftwerk unter anderem zwei Tonnen Uran 235 und 480 Kilo Plutonium 236 vermutet werden. „Diese Stoffe zerfallen zu Staub und stellen eine große Gefahr dar“, sagte Umanetz.