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Der Staat macht Inventur. Eine Volkszählung, so die Statistiker, ist überfällig, weil die heute benutzten Daten für Planung und Politik mindestens 20 Jahre alt sind. Am 9. Mai startet das Unternehmen. Rund 100 000 Zähler werden 7,9 Millionen Einwohner und 17,5 Millionen Immobilienbesitzer befragen. Kostenpunkt: rund 750 Millionen Euro.
Diese Volkszählung ist eine „abgespeckte“ Version. Warum?
Nur zehn Prozent der Bürger werden beim „Zensus“ direkt nach ihren persönlichen Daten befragt. Der Rest der Daten ist bereits vorhanden und wird einberechnet. Abgespeckt ist das Verfahren, weil das Thema Zählung in Deutschland sehr sensibel ist. Die Volkszählung 1983 musste wegen großer Widerstände verschoben werden. 1987 hat das Bundesverfassungsgericht die Fragestellung beschränkt. Sein Urteil schreibt den verfassungsrechtlich verankerten Datenschutz (das persönliche „Recht auf informationelle Selbstbestimmung“) fest.
Dennoch ist jetzt eine neue Zählung nötig, sagt der Staat. Wie begründet er das?
Zum einen: UNO und EU verlangen die Bestandsaufnahme, sie findet in ganz Europa statt. Zudem ist seit der letzten Zählung viel passiert. Es gab die Wiedervereinigung, danach eine Umzugswelle von Ost nach West und umgekehrt. In den 90er-Jahren kamen auch viele Einwanderer während der Balkankonflikte sowie deutschsprachige Russen. Viele dieser Einwanderer haben Deutschland schon wieder verlassen.
Also sind viele Planungsdaten überholt, auch fehlen Grundlagendaten zu Wahlkreisen und Finanzausgleich. Das Statistische Bundesamt glaubt, dass in Deutschland 1,3 Millionen Menschen weniger leben als offiziell geschätzt – mindestens.
Wie verläuft der Zensus?
Die zufällig ausgewählten Einwohner, die den Haushaltsbogen ausfüllen müssen, werden spätestens in den nächsten Wochen informiert. Gleiches gilt für alle Immobilienbesitzer, die die Fragebögen innerhalb von 14 Tagen zurücksenden sollten. Zähler werden drei bis vier Tage vor ihrem Besuch den Termin für die Haushaltsbefragung ausmachen. Achtung: Sie sind hartnäckig, melden sich vorab auch mehrmals.
Die Zählung läuft von Mai bis Juli, als Stichtag gilt der 9. Mai. Die Ausgewählten können den Bogen mit Hilfestellung des Zählers ausfüllen. Ohne ihn können sie das per Internet tun oder den Bogen per Post zurückschicken. Das Ausfüllen wird etwa eine Viertelstunde dauern. Die Fragen sind in 13 Sprachen übersetzt.
Was wird gefragt?
19 Merkmale werden erhoben, etwa Alter, Geschlecht, Familienstand, Staatsangehörigkeit und ob und woher man eingewandert ist; von Interesse sind auch Religion, Wohnsituation, Bildung und Berufstätigkeit.
Gefragt wird auch nach „Hilfsmerkmalen“ wie Name, Anschrift, Telefonnummer, Geburtsdatum und der Erwerbsstatus zum Stichtag. Diese „Hilfsmerkmale“ werden nach kurzer Zeit abgetrennt und wieder gelöscht. Sie sollen Doppelbefragungen verhindern.
Gibt es kritische Fragen, die sehr „intim“ sind?
Die Statistiker sagen natürlich: Nein. Aber manche werden einzelne Fragen als kritisch empfinden. Zum Beispiel: „Haben Sie in den letzten Wochen etwas unternommen, um Arbeit zu finden?“ Gefragt wird auch nach einer eingetragenen „gleichgeschlechtlichen“ Lebenspartnerschaft und Muslime werden gefragt nach ihrer Glaubensrichtung (schiitisch, sunnitisch, alevitisch). Die Antwort darauf ist aber freiwillig.
Was passiert, wenn man die Antworten verweigert?
Bis auf die Frage nach der Glaubensrichtung sind alle anderen Pflicht, auch die nach der rechtlichen Zugehörigkeit zu einer christlichen Kirche. Das schreibt das Gesetz vor. Wer nicht antwortet, kann gemahnt werden. Weigert er sich weiter, kann ein gestaffeltes Zwangsgeld von 200 Euro an aufwärts verhängt werden.
Ist der Datenschutz sichergestellt?
„Wir haben bisher keinen Datenskandal in der amtlichen Statistik gehabt“, beruhigt Hans-Josef Fischer, Chef beim Statistischen Landesamt it.nrw, Skeptiker. Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar sei von Anfang an eingebunden gewesen. Sein Amt hat keinerlei Bedenken. Die Zähler unterliegen einer strikten Schweigepflicht, sie werden bestraft, wenn sie diese verletzen. Pro ausgefülltem Bogen erhalten sie 7,50 Euro Entschädigung („damit kann man nicht reich werden“). Viele sind von Behördenmitarbeitern rekrutiert worden.
Was ist mit Wohnheimen, Studentenunterkünften, Asylbewerberheimen?
In allen 25 000 Einrichtungen gibt es abgespeckte Befragungen mit weniger Fragen. In Studentenheimen erfolgt die Befragung in der Regel mündlich und wird angekündigt. In „sensiblen“ Einrichtungen (Erziehungsheimen, Gefängnissen, Notunterkünften) ist die Leitung Ansprechpartner.
Wann liegen die Ergebnisse der Volkszählung vor?
Bis Dezember 2012 ist die neue Einwohnerzahl bekannt, Im Mai 2013 gibt es frische Daten mit Haushaltsbezug (Wie wohnen die Deutschen? Wo arbeiten sie? Was glauben sie?). Hans-Jürgen Fischer, Präsident der Statistik-Behörde „Information und Technik NRW“, hofft auf Einhaltung des Zeitplans: „Wir appellieren an alle Bürger, die Fragebögen so schnell wie möglich auszufüllen.“