Düsseldorf. .
Als Svenja Schulze ans Rednerpult des Landtages tritt, vergisst die Wissenschaftsministerin glatt den obligatorischen Gruß an den Parlamentspräsidenten. Der formal erste Mann im Lande weist sie von der Kanzel herab schulmeisterlich auf die fehlende Höflichkeitsgeste hin. An diesem Freitagmorgen können solche Usancen schon mal untergehen. Denn Schulze steckt in Schwierigkeiten. Eben hat sich die 42-jährige SPD-Politikerin noch hektisch mit ihren Ministeriumsmitarbeitern auf der Regierungsbank beraten, während CDU und FDP am Rednerpult immer neue Rücktrittsforderungen vortragen. Selbst der Linken-Abgeordnete Rüdiger Sagel wirft Schulze mangelnde Sorgfalt vor und geißelt einen „politischen GAU“ für Rot-Grün. Dann muss die Wissenschaftsministerin selbst erklären, was nur schwer zu verstehen ist: Wie konnte es zum Informationschaos (die NRZ berichtete) über den Jahrzehnte alten Atommüll aus dem früheren Forschungsreaktors in Jülich kommen?
„Ich will eine
lückenlose Aufklärung“
Ausgangspunkt der mittlerweile 14 Tage andauernden Affäre ist die Beantwortung einer Kleinen Anfrage des Grünen-Abgeordneten Hans Christian Markert. Fragen an Ministerien sind ein beliebtes Instrument der einfachen Parlamentarier, um wahlweise die Regierung zu nerven oder einem Thema durch amtlichen Schriftverkehr zu größerer Aufmerksamkeit zu verhelfen. Im Fall der bislang wenig beachteten Atomkugeln aus Jülich scheint ungewollt beides gelungen.
Schulze hatte in dem Schreiben an Markert den Eindruck erweckt, der Verbleib von 2285 Brennelementekugeln aus dem einstigen Forschungsreaktor in Jülich könne nicht restlos aufgeklärt werden. Weiter spekulierte die Ministerin: Ein Teil des hochradioaktiven Mülls sei womöglich in das nicht dafür vorgesehene Forschungsbergwerk Asse in Niedersachsen gebracht worden. Welch eine Nachricht in der aufgeheizten Atom-Debatte! NRW, seit mehr als 20 Jahren ohne Akw-Meiler, schien zumindest emotional näher an den Ausstiegsstreit zu rücken. Schulze befeuerte die Debatte zusätzlich mit Pressemitteilungen: „Ich will eine lückenlose Aufklärung“, forderte sie am 4. April markig. Vor allem alarmierte sie: „Aktuell besteht Unsicherheit über den Verbleib eines Teils der Kugeln.“
Zu diesem Zeitpunkt verstand man im zuständigen Forschungszentrum Jülich die Welt nicht mehr. In der Schlussabstimmung eines Antwortentwurfs für den Abgeordneten Markert am 10. März glaubte man alle Fragen „widerspruchsfrei beantwortet“ zu haben.
Das Forschungszentrum hatte in einem eigenen Absatz dargelegt, dass neben den bilanzierten Kugeln „die restlichen Brennelemente verschiedenen Nachuntersuchungsprogrammen zugeführt“ worden seien und somit kein spaltbares Material vermisst werde. Die schließlich von Schulze veröffentlichte Antwort habe sich „deutlich von dem Antwortentwurf“ unterschieden. CDU und FDP vermuten, Schulze habe die Informationen im Lichte der Reaktorkatastrophe von Fukushima am 11. März „frisieren“ lassen, um daraus in der bundesweiten Anti-Akw-Debatte politisch Kapital zu schlagen. Die SPD weist dies als „Verschwörungstheorien“ zurück. Schulze verweist auf „widersprüchliche Informationen“ aus Jülich, die selbst vom CDU-geführten Bundesforschungsministerium als „Zahlensalat“ bezeichnet worden seien. FDP-Fraktionschef Gerhard Papke fordert schlicht die Offenlegung des mit dem Forschungszentrum Jülich am 10. März abgestimmten Entwurfs, um redaktionelle Zuspitzungen oder Streichungen der Ministerin nachvollziehen zu können.
Für Svenja Schulze, die kaum einer für das Amt der Wissenschaftsministerin auf dem Zettel hatte, sind es Wochen des Missvergnügens. Dabei hat sie eben erst geheiratet. Unter den Gästen war auch Ministerpräsidentin Hannelore Kraft. Sie hätte ihrer Ministerin gewiss unbeschwertere Flitterwochen gewünscht.