Berlin/Paris/Hamburg. . Die Katastrophe von Fukushima ist jetzt auf einer Stufe mit Tschernobyl. Experten halten diese Hochstufung auf der Internationalen Bewertungsskala für nukleare Ereignisse(INES) für „längst überfällig“. Sie fordern die Behörden in Japan auf, mehr Menschen zu evakuieren.

„Längst überfällig“ - Viel mehr Worte brauchen internationale Experten nicht, um die INES-Hochstufung der Atomkatastrophe in Fukushima zu kommentieren. „Wenn die japanische Atombehörde Fukushima jetzt auf der INES-Skala als „katastrophalen Unfall“ einstuft, zeigt das, sie gibt zu, dass sie es in den letzten Wochen heruntergespielt hat“, sagte Mycle Schneider, international tätiger Berater für Energie und Atompolitik. „Bislang haben sich Regierung und Betreibergesellschaft geweigert, den Vorfall als Katastrophe zu bezeichnen.“

Auch der britische Atomexperte Shaun Burnie hält die Hochstufung für bedeutsam: „Endlich räumen sie ein, wie ernst die Lage ist.“ Tatsächlich sei es wohl die Angst vor der „psychologischen Schwelle“ gewesen, die die Behörden von diesem Schritt abgehalten hätte: „Erklären Sie mal Ihrem Volk, dem Sie vierzig Jahre lang gesagt haben, dass die Anlagen sicher sind, dass in Fukushima etwas passiert ist, was auf einer Stufe mit Tschernobyl steht“, sagte Burnie, der mehrfach als Berater auch in Japan tätig war.

Hohe radioaktive Belastung war längst bekannt

Besonders relevant sei, dass die japanische Atomaufsicht NISA bei der Einstufung gleich eine Ebene übersprungen hat, als sie Fukushima von Stufe 5 - Ernster Unfall - direkt auf 7 - katastrophaler Unfall - heraufsetzte. „Das ist ein ungewöhnlicher Vorgang“, sagte Schneider. „Besonders, weil doch, als die Stufe 5 am 18. März festgelegt wurde, ein Großteil der Radioaktivität schon entwichen war.“ De facto sei also weitaus mehr Radioaktivität freigeworden, als bislang zugegeben.

Behörden und Experten hatten schon seit Wochen gefordert, das Unglück von Fukushima hochzustufen. Schon nach den Explosionen in Block 2 und 4 am 15. März hatte das US-amerikanische Institute for Science and International Security (ISIS) eine 6 verlangt. Das französische Institut de Radioprotection et de Sûreté Nucléaire (IRSN) und die österreichische Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) berechneten, wie viel Radioaktivität frei geworden sein musste. Sie verglichen mehrfach die freigesetzte Strahlenmenge mit der von Tschernobyl: Schon am 22. März veröffentlichte das ISIS seine Berechnung, dass in Fukushima bereits zehn Prozent der Tschernobyl-Dosis entwichen sind.

Strahlenbelastung kann Tschernobyl noch übersteigen

Die Angabe „zehn Prozent der Dosis von Tschernobyl“ ist nun auch offiziell von japanischer Seite gemacht worden. Der Sprecher der Betreibergesellschaft Tepco, Junichi Matsumoto, erklärte sogar, dass letztlich mehr Radioaktivität in die Umwelt gelangen könnte als in Tschernobyl, wenn weiterhin Strahlung freigesetzt wird. Das sind ungewohnt offene Worte, gemessen an der bislang so zögerlichen, widersprüchlichen Kommunikation von Tepco.

„Der Vergleich mit Tschernobyl ist jetzt offiziell gemacht, das ist gut, weil damit die Verhältnisse endlich klar benannt wurden“, erklärte Experte Burnie. Doch nun müssten Taten folgen. „Jetzt muss auch der Schutz der Bevölkerung dem angepasst werden, das heißt vor allem, die Evakuierungen müssen ausgeweitet werden.“

„Jetzt ist es eines wichtig: Messen, messen, messen“, forderte Berater Schneider. „Es wird bislang einfach nicht genug gemessen, um die Strahlenbelastung realistisch einschätzen zu können. Im Boden und im Wasser, in der Luft und in den Lebensmitteln.“ (dapd)