Rainer Brüderle irrt. Es war nicht Wahlkampftaktik. Die Wahlen sind vorbei. An­ders als der Wirtschaftsminister dachte, zieht Kanzlerin Angela Merkel den Atomausstieg durch. Sie folgt der Einsicht, genauso der Stimmung ihrer Wähler. Für Merkel – kein Problem. Nebenbei gestand die Kanzlerin, sie habe nach Fukushima ihre Sicht auf die Atomenergie geändert.

Alle Parteien – bis auf die Grünen – geben sich einen grüneren Anstrich. Aber keiner greift so entschlossen nach dem Pinsel wie Merkel. Wie erklärt sie es ihren Wählern? Wie bringt sie die CDU dazu, künftig nicht aus taktischen Motiven oder weil es politisch korrekt ist, sondern aus innerer Überzeugung den Schalter umzulegen: auf die erneuerbare Energien?

Merkel arbeitet auf die Bundestagswahl 2013 hin. Bis dahin sollte der Atomausstieg als Thema abgeräumt sein; schon damit der Wahlkampf nicht zur Leistungsschau der Grünen wird. Das Kalkül beflügelt die SPD genauso. Vorbei die Zeiten, als Merkel Schwarz-Grün ein „Hirngespinst“ nannte. Umweltminister Norbert Röttgen sagt es frei heraus. Er halte eine Lagerstrategie für überholt „und nicht in unserem Interesse“. Merkel will mitnichten die Grünen groß machen, sie will sie kleinhalten! Wie? Sie will die Öko-Partei zwingen, Farbe zu bekennen. „Nein“ sagen – reicht nicht. Wer raus will, muss erklären, wo er atomare Endlager anlegt, wie er den Netzausbau betreibt.

Merkel setzt sich selbst unter Zeitdruck: Bis Mitte Juni bleiben die alten Atommeiler still. Danach muss ein Konzept her. Eine Ethik-Kommission soll helfen, einen gesellschaftlichen Konsens zu erzielen. SPD-Mann Volker Hauff ist mit von der Partie. Mit der SPD kann man handelseinig werden, leichter als mit den Grünen.

Die Wahl des Vorsitzenden der Kommission war ein Signal: Klaus Töpfer, ein Ex-Umweltminister. Dazu kommen Geistliche und Philosophen, die eher Vordenker des Ausstiegs sind. In der Unions-Fraktion durchschauen sie das Spiel: „Es kann nicht sein, dass am Ende Töpfer mit seinen Bischöfen kommt und dem Parlament sagt, wie es das Atomgesetz zu ändern hat“, hieß es neulich.

Merkel muss auf die Partei wie auf einen lahmen Gaul einreden. Am 2. Mai berät die CDU-Spitze morgens mit 40 Umwelt- und Wirtschaftspolitikern, abends mit Kreisvorsitzenden. Immer dabei: Röttgen. Am 9. Mai brütet der CDU-Vorstand über den künftigen Kurs. Am 13. und 14. Mai soll die FDP die Weichen für einen schnelleren Atomausstieg stellen. Am 20. und 21. Mai pilgert Merkel nach Kloster Andechs in Bayern: Treffen mit der CSU-Spitze. Dort geben die Atomkraftgegner auch schon den Ton an.

Im Mai legt die SPD ein Energiekonzept vor. Daran arbeitet eine Kommission unter Führung von Thorsten Schäfer-Gümbel. Das Kernanliegen der SPD ist das Soziale. Einer muss darauf gucken, ob der Strompreis auch bezahlbar bleibt.

Wenn die „Erneuerbaren“ bis 2050 schon 80 Prozent der Energie ausmachen sollen, dann spielt Gas eine Rolle, wohl kaum aber die Kohle. Auch das muss man Teilen der Partei verklickern. So hat jeder seine Erklärungsnöte.