Berlin. .

Mircea Geoana (52) gehört zu den bekanntesten Politikern in Rumänien. Er war Botschafter und Außenminister seines Landes, das seit 2007 Mitglied der Europäischen Union ist. Vor zwei Jahren unterlag er bei der Wahl zum Staatspräsidenten nur knapp. In Berlin startete der Präsident des Senats im Bukarester Parlament jetzt eine Charme-Offensive für seine Heimat. Ein Exklusiv-Interview mit DerWesten.

Herr Geoana, die Europäische Union hat noch vor kurzem deutliche Kritik an Ihrem Land geübt. Es fehle an Transparenz und Kontrolle der Justiz, heißt es im jüngsten Kontrollbericht der EU-Kommission. Außerdem dauerten Korruptionsverfahren zu lange. Das ist ein Grund, warum vor allem Deutschland und Frankreich den Beitritt Rumäniens zum grenzkontrollfreien Schengen-Raum blockieren. Wie beurteilen Sie die Kritik?

Mircea Geoana: Wir haben die zweitlängste Außengrenze in der EU, mehr als 2000 Kilometer. Wenn man das berücksichtigt, hat Rumänien beim Ausbau der Grenzsicherung einen ganz guten Job gemacht. Wir verhindern, dass die Mafia im Osten sich mit der Mafia im Westen vernetzt. Gewiss, es gibt nach wie vor Menschenhandel und Schmuggel, aber keine Fälle von Schwerstkriminalität.

Aber es ist doch eine Tatsache, dass in Rumänien zuletzt beinahe wöchentlich korrupte Zöllner und Grenzpolizisten festgenommen wurden. Das schafft in der EU kein Vertrauen.

Geoana: Sicher, das beunruhigt auch uns. Zumal wir in die technische Grenzsicherung bereits über 1,5 Milliarden Euro investiert haben; europäisches Geld und eigenes. Aber das von Ihnen beschriebene Phänomen zeigt nicht nur, dass wir ein Problem haben. Wir sind auch entschlossen es zu lösen. Die vielen Festnahmen nach monatelanger verdeckter Ermittlungsarbeit an den Grenzposten zeigen, dass wir mehr Wert auf die Menschen legen müssen, die dort ihren Dienst tun.

Hat die rumänische Regierung bei der Grenzsicherung versagt?

Geoana: Man hat zumindest die Erwartungen falsch gemanagt. Man hat so getan, als sei der Beitritt zum Schengen-Raum bereits geschafft. Und dann hat man geprahlt mit der technischen Seite der Grenzsicherung. Das war ein Armutszeugnis und schlägt jetzt öffentlich zurück. Dazu kommt, dass Rumänien in der jüngeren Vergangenheit so häufig den Innenminister ausgetauscht hat, dass sich hier nie genügend Kontinuität entwickeln konnte.

Apropos Innenminister: Staatspräsident Traian Basescu soll neulich im Fernsehen gesagt haben, auf dem „Schachbrett“ der Korruption an Rumäniens Grenzen müsse „die Königin“ ausgeschaltet werden. Meinte er, wie Medien berichten, den ehemaligen Innenminister Vasile Blaga, der früher für die Grenzschützer verantwortlich war?

Geoana: Es war nicht der Präsident, von dem diese Spekulation stammt, sondern ein Gewerkschaftsführer. Nach den spektakulären Festnahmen an unseren Grenzen tauchte natürlich in der öffentlichen Diskussion die Frage auf, wo die Schaltstelle für dieses Ausmaß von Korruption ist. Ohne politische Rückendeckung wäre das kaum möglich gewesen. Ich kann heute nur so viel sagen: Wir wissen es noch nicht. Aber ich bin sicher, dass die rumänische Justiz bald mehr herausfinden wird.

Sie können also unter dem Strich die Kritik aus Brüssel nachvollziehen?

Geoana: Ja. Wir verstehen, dass die EU von uns mehr Fortschritte erwartet. Aber wir akzeptieren keine grundlegende Änderung der Spielregeln. Für Rumänien müssen im Vorfeld des Beitritts zum Schengen-Raum die gleichen Bedingungen gelten wie vor einigen Jahren bei Ungarn oder der Slowakei. Wir möchten objektiv beurteilt werden. Und nicht nach den vorübergehenden innenpolitischen Interessen einiger Mitgliedsstaaten. Ich denke, das ist nur fair.

Fühlen Sie sich bei Ihrem Bemühen von Deutschland unterstützt?

Geoana: Ja. Wir haben bei unseren Gesprächen in Berlin diesen Eindruck gewonnen. Deutschland hat zuletzt in Brüssel vorgeschlagen, dass die EU den kompletten Schengen-Raum einer Überprüfung unterzieht. Als Konsequenz daraus könnte ein Kontrollverfahren entstehen, das wie beim Euro-Stabilitätspakt rechtzeitig auf Mängel bei der Grenzsicherung aufmerksam macht und auf Abhilfe drängt. Wir unterstützen diese Idee. Denn möglicherweise wird der Zuwanderungsdruck aus den Anrainer-Staaten im Süden der EU und anderen Ländern in den nächsten Jahren noch größer.

Wann erwarten Sie eine Entscheidung über den Beitritt Rumäniens zum Schengen-Raum?

Geoana: Wir hoffen, dass die EU-Kommission uns nach Vorlage ihres jährlichen Berichtes Ende Juni einen konkreten Zeitplan über den Beitritt unseres Landes zum Schengen-Raum unterbreitet. Ich bin überzeugt, die Entscheidung kann noch in diesem Jahr fallen. Der Wegfall von Grenzkontrollen ist enorm wichtig für die wirtschaftlichen Beziehungen der EU-Mitgliedsländer. Schengen erleichtert den Handel enorm.

In Deutschland und anderen EU-Staaten fürchtet man einen noch größeren Zuzug aus Ihrem Land, wenn Rumänien in den Schengen-Raum aufgenommen wird. Ist die Sorge berechtigt?

Geoana: Nein. Derzeit arbeiten insgesamt rund drei Millionen Rumänen in anderen EU-Ländern. 1,4 Millionen in Italien, eine Million in Spanien, knapp 500 000 in Portugal. In Deutschland sind es nur 100 000. Uneingeschränkten Zutritt zum deutschen Arbeitsmarkt erhalten Rumänen ohnehin frühestens 2014.

Herr Geoana, alle Welt redet nach der Katastrophe in Japan über die Nutzung der Atomenergie. Rumänien plant im einzigen Meiler in der Erdbeben-gefährdeten Donau-Stadt Cernavoda den Bau zweier weiterer Reaktoren. Müssen Sie das Projekt nicht unverzüglich stoppen?

Geoana: Das Kernkraftwerk ist in den 80er Jahren gebaut worden. Die Technik kommt aus Kanada, nicht aus Russland. Es gibt seit längerem Überlegungen zum Ausbau. Drei Aspekte werden dabei meines Erachtens entscheidend sein: erstens die optimale Sicherheit des Reaktors. Vor einigen Jahren musste Cernavoda abgeschaltet werden, weil der Wasserstand in der Donau zu niedrig war und wir nicht genügend Kühlwasser hatten. So etwas darf nicht sein. Zweitens müssen wir überlegen, welche neuen Sicherheitsstandards nötig sind. Die dritte Frage ist die schwierigste: die nach den Alternativen.

Wie läuft die öffentliche Diskussion in Rumänien nach Fukushima?

Geoana: Die öffentliche Meinung reagiert bei diesem Thema nicht so sensibel wie etwa in Deutschland. Aber die Ereignisse in Japan werden auch bei uns eine intensive Diskussion auslösen.

Was ist Ihre persönliche Meinung?

Geoana: Es wäre Wunschdenken anzunehmen, dass Länder wie Frankreich, China, Indien oder die USA die Atomkraft aufgeben werden. Radikale Lösungsvorschläge können darum vielleicht politisch benutzt werden, Resultate wird es so aber kaum geben.

Also bleibt alles beim Alten?

Geoana: Nein. Wir benötigen in der Europäischen Union eine gemeinsame Strategie für die nächsten 20 Jahre. Dabei müssen die bestehenden Atomkraftwerke sicherheitstechnisch optimiert werden und einwandfrei sein. Eine unabhängige Agentur, die das kontrolliert, wäre überlegenswert. Parallel dazu muss mehr Geld in die Erforschung der erneuerbaren Energien investiert werden. Nur so kann man sicherstellen, dass wir auf Sicht erkennbar ausreichend Ersatz bekommen für die Atomkraft.

Sind erneuerbare Energien in Rumänien ein Thema?

Geoana: Ja, wir bewegen uns stark in diese Richtung. Wir haben etwa den größten Windrad-Park in Europa. Hier werden mehr als 450 Megawatt produziert. In 2002 waren es noch vier Megawatt. In 2013 werden es 750 Megawatt sein. Rumänien hat zudem viel Potenzial für Solarenergie im Süden und zwei Millionen Hektar Land für die Produktion von Biomasse. Wir können unsere Energieversorgung umweltfreundlicher gestalten. Und wir werden das auch tun.

Der Westen steckt in Libyen in einem sehr heiklen Einsatz. Nicht alle Länder machen mit. Wie beurteilt man in Rumänien die Lage?

Geoana: Rumänien ist der viertgrößte Truppensteller in Afghanistan. Wir sind im Kosovo und andernorts aktiv. Ich denke nicht, dass sich Rumänien mit eigenen Soldaten in Libyen beteiligen wird.

Hört sich nach Sympathie für die umstrittene deutsche Haltung an. Die Bundeswehr ist in Libyen außen vor.

Geoana: Oberst Gaddafi muss gehen, das steht fest. Aber was, wenn die Flugverbotszone nicht ausreicht? Bodentruppen zu schicken, ist eine sehr schwierige Angelegenheit. Man muss eine Strategie für die nächsten Schritte haben, wenn man so einen Einsatz beginnt. Ich kann die Vorsicht in Deutschland sehr gut verstehen. Zumal ich fürchte, dass es weitere Unruheherde geben wird. Der Bogen der Instabilität im Nahen Osten und in Zentralasien wird eher größer als kleiner.

Herr Geoana, Sie selbst waren vor zwei Jahren in Rumänien Präsidentschaftskandidat - und haben verloren. Treten Sie noch einmal an?

Geoana: Ich habe beim letzten Mal mit ein paar wenigen tausend Stimmen verloren. Ich halte mir den Weg für eine erneute Kandidatur 2014 offen. Ich bleibe öffentlich sichtbar, aber ich werde nicht innenpolitisch überziehen. Die Rumänen haben die Politik satt, sie trauen uns nicht mehr. Die amtierende Regierung hat nur noch zehn Prozent Zustimmung in der Bevölkerung. Sie ist ausgelaugt und müsste normalerweise längst zurückgetreten sein. Es wird wahrscheinlich in den nächsten Wochen einen neuen Regierungschef geben. Ich denke, der Staatspräsident wird diesen Versuch machen, um die öffentliche Meinung zu ändern.