Stuttgart. . So spannend war eine Landtagswahl in Baden-Württemberg noch nie. Das reiche und bisher konservative Musterländle im Süden könnte am Sonntag einen politischen Wechsel erleben. Für Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) wird die Luft dünn, nicht erst seit der Atomkatastrophe in Japan. Sein Nachfolger könnte Winfried Kretschmann sein, der Spitzenkandidat der Grünen.
Erst mal einen Schnaps. Stefan Mappus lässt sich nicht zweimal bitten. „Das wird gleich meine beste Rede“, scherzt Baden-Württembergs Ministerpräsident mit dem Schömberger Trachtenverein, der mit Hefezopf und Hochprozentigem lockt. Dann bläst der Musikverein einen Marsch, und 400 Anhänger feiern Mappus.
Ach ja, in der rappelvollen Kurhalle im Schwarzwald ist die CDU-Welt noch heile. Draußen nicht. Dort stehen die Mappus-Gegner und pfeifen. Welches Lager am Sonntag bei der Wahl im Ländle jubelt, ist offen. Nach 58 Regierungsjahren droht der CDU die Opposition, der FDP der Sturz aus dem Parlament und dem konservativen Wähler der politische GAU: Eine grün-rote Regierung. Oder Grün-Rot-Dunkelrot.
Für Mappus kam es seit seinem Amtsantritt 2010 als Nachfolger von Günther Oettinger knüppeldick. Erst lehnte er den Kauf der Steuersünder-CD ab. Es folgten Wasserwerfer gegen Stuttgarter Bahnhofsgegner, Guttenberg-Rücktritt, Atomunfall in Japan. Ein Wahlkampf-Desaster. Mappus versucht seitdem den Spagat zwischen seiner einstigen Pro-Atom-Haltung und dem neuen Ausstiegskurs der Union.
Als Chef in der Villa Reitzenstein hat Mappus wenig bewegen können. Also predigt er in Stuttgart-Riedenberg vor gut 100 Senioren die schwäbisch-badische Erfolgshistorie: niedrigste Arbeitslosigkeit, höchstes Wirtschaftswachstum, mehrgliedriges Schulsystem, die kreativsten Menschen – selbst die Autotüftler Daimler und Benz leisten posthum Wahlkampfhilfe.
Mappus’ Linie lautet: Weiter so! Klare Kante bezieht er zum Gegner. Rente mit 67, Hartz IV, Stuttgart 21 – die SPD spricht hier mal so, mal so. Die Grünen hält er für verlässlich: „Egal, was wir machen, sie sagen immer nein.“ Dann wettert Mappus gegen den Länderfinanzausgleich.
Reicht das für den Wahlsieg? Für einen Sieg braucht es die FDP. Die Liberalen müssen das 3,8-Prozent-Wahldebakel in Sachsen-Anhalt verkraften. Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke beteuert nun, dass dies keine Folgen für die Wahl hat. Auch nicht die Atomfrage. Die FDP setzt auf die gute wirtschaftliche Entwicklung.
Bei Mappus bezweifelt niemand, dass er mit Leib und Seele Ministerpräsident ist. Anders bei Winfried Kretschmann. Landauf, landab muss der Grünen-Spitzenkandidat versichern, dass er nicht Statthalter für Parteichef Cem Özdemir spielt, sondern wirklich Landesvater werden will. Seit Fukushima stehen seine Chancen wieder gut – und der 62-Jährige füllt die Hallen.
Kretschmann inszeniert sich als Anti-Mappus. Er wirkt behäbig, meidet Polemik, verspricht einen bedächtigen Politikstil, will den Volksentscheid zu Stuttgart 21 und mit Bildung punkten. „Des isch des Megathema“, näselt der Ex-Gymnasiallehrer. Die Grünen wollen neue Schulmodelle fördern. Ein heißes Eisen. Die Zukunft des Gymnasiums ist vielen Schwaben fast so heilig wie das Sparbuch. Permanent versichert Kretschmann, dass er das Bildungssystem nicht in Grund und Boden regieren werde: „Wir wollen nicht an Ihren Kindern herumexperimentieren.“
„Die Nerven behalten“
Es gibt noch mehr Vorbehalte. Ist die Ökopartei die Dagegen-Partei? Kretschmann findet den Vorwurf „a bitzle dumm“. Wer für den Kopfbahnhof in Stuttgart sei, müsse gegen den unterirdischen Neubau sein. Das sei „das Gesetz der Logik“, doziert Kretschmann, der eine leichte Wechselstimmung spürt und SPD-Spitzenkandidat Nils Schmid schätzt.
Der 37-jährige Sozialdemokrat hat es schwerer. Die Grünen liegen seit Fukushima wieder vor der SPD, Schmid droht die Kellnerrolle bei Grün-Rot. Er ist Finanzexperte, aber kein Volkstribun. Witze liest er vom Manuskript ab. „Ihr kennt mich alle als begnadeten Rhetoriker“, beginnt der Fraktionschef seine Rede vor hundert Anhängern in Schwetzingen. Zumeist ältere Semester. Er redet über Bildung, erneuerbare Energie, attackiert den CDU-Landesvater als sprunghaft: „Auch die SPD hatte schlechte Umfragen. Ich hatte die Nerven behalten, wir haben Kurs gehalten.“
Doch mit der Alphamännchen-Rolle fremdelt Schmid – wie in Reutlingen. 50 Betriebsräte sind bei dem IG Metall-Treffen. Manche sind sauer auf die SPD wegen Hartz IV, andere stinksauer. 45 Minuten lang streitet Parteichef Sigmar Gabriel und droht: Wer die Linke wählt, sorgt dafür, dass Mappus Ministerpräsident bleibt. Schmid sitzt neben Gabriel – und schweigt meist.