Tripolis. . Die Luftangriffe des Westens auf Libyen haben begonnen. Das Staatsfernsehen zeigte ausgebrannte Militärfahrzeuge von Elitetruppen, aus denen noch Stunden lang Rauch aufstieg. Und es berichtete von Dutzenden zivilen Opfern.

Qualmende Stahlgerippe zeugen davon, dass die Operation „Odyssey Dawn“ (Dämmerung einer Odyssee) der westlich-arabischen Koalition begonnen hat. Tote Soldaten liegen neben ausgebrannten Panzern, Truppentransportern, Pickups mit aufmontierten Geschützen. Französische Kampfjets hatten hier, am Rande der Oppositionshauptstadt Bengasi, die Truppen von Muammar Gaddafi angegriffen.

Eine Attacke, die im letzten Moment kam, nachdem die Gaddafi-Armee seit Tagen Libyens zweitgrößte Stadt, in der 700 000 Menschen leben, tagelang mit Artillerie beschossen und von Flugzeugen aus bombardiert hatten. Mindestens 94 Menschen sollen bei Gaddafis versuchtem Sturm auf Bengasi umgekommen sein.

Wie viele von Gaddafis Soldaten beim heftigen Luftangriff der Koalition umkamen, weiß man bisher nicht. Die Attacke sei „effektiv“ gewesen, sagte ein Rebellensprecher. Umgehend machten sich Einheiten der bewaffneten Opposition auf, um flüchtende Gaddafi-Soldaten zu verfolgen. Nun wollen die Aufständischen versuchen, die Richtung Tripolis liegende Stadt Ajdabiya, 160 Kilometer südlich Bengasis, wieder einzunehmen.

„Die Flugverbotszone ist errichtet.“

Am Samstagabend waren die ersten französischen und britischen Jets gestartet und hatten militärische Ziele in der Umgebung von Bengasi, Misrata und Tripolis angegriffen. In der Nacht zu Sonntag hatten Schiffe der US-Marine und der britischen Royal Navy über 110 Marschflugkörper abgeschossen. Gesteuert mit GPS-Laser zerstörten sie Luftabwehrstellungen an der libyschen Küste. Am Sonntagvormittag folgte dann eine zweite Angriffswelle mit B-2-Bombern und Kampfjets.

Offenbar mit durchschlagendem Erfolg: „Gaddafis Luft-Abwehrsystem ist schwer getroffen worden“, sagte ein Sprecher der Koalition. US-Generalstabschef Mike Mullen erklärte kühl: „Die Flugverbotszone ist errichtet.“ Man habe keine Hinweise darauf, dass die libysche Luftwaffe aktiv sei oder Gaddafi, wie befürchtet, einen Einsatz chemischer Waffen vorbereite. Ob es auch zivile Opfer bei den Angriffen gegeben habe, konnte Mullen nicht sagen.

Das libysche Staatsfernsehen, Gaddafis stärkste Propagandawaffe, berichtete, dass in vier Städten „zivile Ziele von den Angriffen der feindlichen Luftwaffe der Kreuzritter“ getroffen worden seien. Darunter auch ein Krankenhaus. Mindestens 64 Menschen seien ums Leben gekommen. Zugleich kursierten Oppositionsberichte, wonach Gaddafi Tote aus Leichenschauhäusern zu den Bombenorten bringen ließ, um ein Massaker unter Zivilisten vorzutäuschen. Überprüfen lassen sich diese Angaben nicht.

Die Militäroperation der Koalition stützt sich auf die UN-Resolution 1973, die Libyens Zivilbevölkerung gegen weitere Angriffe schützen und eine Flugverbotszone durchsetzen soll.

Wo ist der Diktator?

Nachdem die Truppen des Diktators am Samstag trotz einer versprochenen Waffenruhe ihre Offensiven auf Städte der Opposition fortsetzen, entschloss sich die westlich-arabische Koalition einzugreifen. Wo Gaddafi während der Luftangriffe steckte, die ja auch im Raum Tripolis stattfanden, weiß man nicht. In der Nacht zum Sonntag sendete das Staats-TV eine Tonbotschaft von ihm, in der Gaddafi ankündigte, „die Massen zu bewaffnen“ und zwar „mit allen Waffenarten“. Und: „Wir werden unser Land nicht verlassen, wir werden es befreien.“ Der Diktator beschimpfte die Mächte der Angriffskoalition – Frankreich, Großbritannien und die USA – als „die neuen Nazis“.

Er drohte, Nordafrika und den Mittelmeerraum „zum Schlachtfeld“ zu machen und „militärische wie zivile Ziele“ in der ganzen Region, die an Südeuropa grenzt, anzugreifen. Das Staatsfernsehen kündigte zudem an, dass die Zusammenarbeit mit Europa hinsichtlich des Kampfes gegen die illegale Einwanderung „beendet“ sei.

Massaker in Misrata

Mehrere tausend Gaddafi-Anhänger, darunter auch seine Tochter Aisha, zogen zur Gaddafi-Residenz in Tripolis, um als „menschliche Schutzschilde“ das Machtzentrum des Diktators zu schützen. Dieser festungsartige Palast befindet sich in der Bab-al-Azizia-Kaserne, die bereits 1986 von US-Kampfjets einmal angegriffen worden war.

Während die Luftangriffe der Koalition die Gaddafi-Armee vor Bengasi stoppen konnte, ging der Gaddafi-Vormarsch auf Misrata, auf die drittgrößte Stadt Libyens 200 Kilometer östlich von Tripolis, ungebremst weiter: Die Truppen seien nach tagelangem Trommelfeuer mit Panzern in die Stadt eingedrungen, hieß es, Scharfschützen feuerten von Dächern willkürlich auf die Menschen. Ein Bewohner berichtete im britischen Rundfunksender BBC von einem Massaker in der Großstadt mit vielen Toten. „Misrata wird völlig zerstört.“