Berlin. . Der drohende Super-GAU in Japan hat die atomfreundliche Partei so sehr verstört, dass Angela Merkel die Laufzeitverlängerung aussetzt.

So schnell kann es gehen. Noch am Sonntag hat Angela Merkel (CDU) die Verlängerung der Laufzeiten der Atommeiler nicht in Frage gestellt. Einen Tag später kündigt die Kanzlerin ein dreimonatiges Moratorium an. Das Gesetz wird so lange ausgesetzt.

Stundenlang habe man darüber diskutiert, plaudert Vize-Kanzler Guido Westerwelle (FDP) aus dem Nähkästchen.

Ihm wie ihr fiel es schwer, laut „Stopp“ zu rufen. Dazu passt, dass die Kanzlerin erst auf Nachfrage einräumt, dass die Auszeit Folgen haben wird. Für Anlagen, die nach dem rot-grünen Atomausstieg 2011 vom Netz gehen sollten, bedeutet es das sofortige Aus. „Das wäre die Konsequenz“, bestätigt sie.

Merkel hat aus dem GAU in Japan eines gelernt: Dass „unwahrscheinliche Ereignisse trotzdem eintreten können.“ Es gibt dafür extra einen Ausdruck: Murphys Gesetz.

In den drei Monaten wird nun die gesamte Atompolitik vom Kopf auf die Füße gestellt. Eine Kommission soll alles überprüfen. Heute wird es mit der Energiewirtschaft und mit den Bundesländern beraten. Das entbehrt nicht der Ironie: Als die Verlängerung der Laufzeiten beschlossen wurde, da hatte der Bundesrat nichts zu melden.

Die politische Verantwortung liegt bei Umweltminister Jürgen Röttgen. Der Mann ist nicht zu beneiden. Man fragt sich wohl nicht nur in Berlin, ob Röttgen nebenbei auch noch die NRW-CDU in eine Neuwahl führen könnte. Hat Norbert Röttgen die Herkuleskräfte? Und ist das dreimonatige Moratorium etwa ein Bluff?

„Es gibt keine Garantie zum Weiterbetrieb jedes einzelnen Kraftwerks“, antwortet Westerwelle. Das soll wohl heißen, dass die Zeit der Rücksichtnahme gegenüber der Atomlobby endgültig vorbei ist.

Mit dem Moratorium will die schwarz-gelbe Koalition – für alle Bürger sichtbar – „innehalten“ (Merkel), um Vertrauen werben, gerade vor Wahlen. „Wir haben eine neue Lage“, unterstreicht die Kanzlerin. „Alles gehört auf den Prüfstand.“ Sicherheit gehe vor. Markige Sätze.

Papperlapp, winkt Jürgen Trittin ab. Sein Verdacht ist, dass Merkel die „katastrophale Fehlentscheidung vom Herbst aussitzen will“. Auf die Weise wolle sie bloß aus der Defensive kommen. Nach dieser Lesart wäre das Moratorium bloß ein raffinierter politischer Trick, um Zeit zu gewinnen. Die Grünen wollen im Bundestag beantragen, die sieben ältesten Kraftwerke sofort vom Netz zu nehmen. Moratorium? Nix da.

„Beschämend“, ruft Hermann Gröhe aus. Aber es ist wohl so, ob es Merkels Generalsekretär mag oder nicht: Seit gestern stehen die Landtagswahlkämpfe ganz im Zeichen der Atompolitik. Gegen 17 Uhr erscheinen die Grünen Trittin und Renate Künast zur Mahnwache vor dem Kanzleramt. Gröhe staunt: Die Selbstgerechtigkeit, dieses „wir haben seit 20 Jahren denselben Aufkleber“, das werde der Entwicklung doch nicht gerecht.

Für die Christdemokraten wird zum Fluch, dass sie mit der Kernenergie identifiziert werden. Wenn Merkel heute die Ministerpräsidenten der Länder mit Atomanlagen trifft, sieht sie viele vertraute Gesichter: Stefan Mappus, Volker Bouvier, Horst Seehofer, David MacAllister. Es ist, vom CSU-Chef Seehofer abgesehen, als käme der CDU-Vorstand zusammen.

„Zweifel ernst nehmen“

Die Wahlkämpfer unter ihnen sind längst unruhig. Reiner Haseloff aus Sachsen-Anhalt mahnt, doch bitte „ernst zu nehmen, dass die Menschen in Deutschland Zweifel an der Laufzeitverlängerung haben.“ Mappus setzte umgehend eine Kommission ein, die alle Meiler in Baden-Württemberger prüfen soll. Röttgen verlässt das CDU-Präsidium gestern in Berlin mit einem süffisanten Lächeln auf den Lippen. Noch vor wenigen Monaten gehörte Mappus zu seinen schärften Kritikern. So schnell kann es gehen.