Ruhrgebiet. . Ermittler des LKA wettern gegen die Regelung zur Vorratsdatenspeicherung. So entkommen Kriminelle, sagen sie - und beleben den Begriff vom Internet als rechtsfreiem Raum wieder.
Alles deutete auf einen Mafiamord hin, doch aufgeklärt wurde er bis heute nicht. Als im vergangenen Jahr die Leiche eines 43-jährigen Italieners an einer Autobahn-Böschung bei Leverkusen gefunden wurde, kam die Kripo zunächst zügig voran. Drei Monate später hatte sie mehrere Tatverdächtige im Visier. Dann aber stockten die Ermittlungen: Die Polizei konnte auf mehrere Monate alte Telefondaten nicht zugreifen.
Der Fall beschreibt ein Handicap, das die Internet-Spezialisten des Landeskriminalamts (LKA) bei ihrer Arbeit zunehmend vor Probleme stellt. Die zehnköpfige Ermittlergruppe geht im Netz auf Streife, taucht systematisch ein in Blogs, Tauschbörsen, Videoplattformen und Soziale Netzwerke. Innerhalb von drei Jahren gelang es der „Zentralen Internetrecherche“ (ZIR), rund 3000 Straftaten in der vermeintlichen Anonymität aufzudecken. „Sie könnte allerdings noch wirkungsvoller sein“, sagt Innenminister Ralf Jäger (SPD).
Seit das Bundesverfassungsgericht die bisherige Vorratsspeicherung im vergangenen Jahr gekippt hat und Berlin das Gesetz nicht neu regelt, hat Jäger eine „gravierende Schutzlücke in unserem Rechtssystem“ ausgemacht. Die Aufklärungsquote der Düsseldorfer „Task Force“ sei seitdem von 90 auf 60 Prozent gesunken, bestätigt ihr Chef, Kriminalhauptkommissar Klaus Kisters. Allein im Jahr 2010, listet er auf, habe seine Dienststelle unter anderem 717 Fälle von Kinderpornografie, 277 politisch motivierte Straftaten und 67 Kindesmissbrauchsdelikte aufgeklärt.
Stumpfes Schwert
Anders als die lokalen Kommissariate wird die ZIR aktiv, auch ohne dass ein Bürger Strafanzeige erstattet. Die Beamten stoßen im Netz auf erhebliche kriminelle Energie. Kisters schildert Fälle aus NRW: den 47-Jährigen, dem 250 Missbrauchsfälle an einem 16-jährigen Mädchen nachgewiesen werden konnten; den Täter, der Eingeweihten über ein Bodybuilder-Forum illegal Muskelaufbau- und Potenzmittel anbot und mit 22 Monaten Haft bestraft wurde; den jungen Mann, der in einem Spieler-Chat einen Amoklauf ankündigte und Säuglinge als Schutzschild nehmen wollte – der 19-Jährige wurde in die Psychiatrie eingewiesen.
Dass sich die Täter im Internet sicher fühlen, begründe häufig den Ermittlungserfolg, berichtet Kisters, für den eine Mindestspeicherdauer der Daten von sechs Monaten die „Untergrenze“ wäre. Jäger verweist auf 139 Fälle von Kinderpornografie, bei denen die Täter den Ermittlern bereits wegen fehlender Daten entkommen seien. Die Negativbilanz nutzt er zu wüsten Attacken auf Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) und ihre „pseudoliberale Haltung“. Das Internet dürfe „kein rechtsfreier Raum“ sein, so Jäger. Sonst drohe die bisher so erfolgreiche Arbeit der Ermittler beim LKA zum „stumpfen Schwert“ zu werden.