Essen. . Kampfjets attackieren Demonstranten, Scharfschützen feuern in die Menge, Söldnertruppen machen Jagd auf die Aufständischen, wie lange kann – und will – der Westen der brutalen Menschenjagd in Libyen angesichts ständig steigender Opferzahlen noch zu­sehen?

Kampfjets attackieren Demonstranten, Scharfschützen feuern in die Menge, Söldnertruppen machen Jagd auf die Aufständischen, wie lange kann – und will – der Westen der brutalen Menschenjagd in Libyen angesichts ständig steigender Opferzahlen noch zu­sehen?

Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich der Despot Gaddafi noch wochenlang an der Macht halten kann, das Blutvergießen könnte anhalten. Gestern jedenfalls rief er seine Anhänger auf, das Land zu verteidigen. Noch zögert die Nato, doch eine weitere Eskalation der Lage in Libyen könnte das Bündnis in Zugzwang bringen.

Wie ist derzeit die Haltung der Nato?

Das Bündnis habe nicht die Absicht, militärisch gegen das Gaddafi-Regime einzuschreiten, betonte Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen erst kürzlich und betonte: „In jedem Fall sollte so eine Aktion auf einem klaren Mandat der Vereinten Nationen be­­ruhen.“

Ohne UN-Mandat gibt es also kein militärisches Eingreifen?

Es geht faktisch auch ohne. Das zeigt nicht nur der vom ehemaligen US-Präsidenten George W. Bush nach den Terroranschlägen vom 11. September initiierte und international höchst umstrittene Irak-Krieg. Auch die Luftangriffe der Nato gegen das serbische Militär im Rahmen des Kosovo-Kriegs 1999 beruhten zu­nächst nicht auf einem UN-Mandat. Das Eingreifen wurde erst nachträglich vom UN-Sicherheitsrat abgesegnet. Ein klares Mandat der Vereinten Nationen gab es dagegen für den Afghanistan-Krieg, wie der Irakkrieg eine Folge des Terrorangriffs auf die Vereinigten Staaten 2001.

Würde es im Fall Libyen voraussichtlich ein UN-Mandat geben?

Das ist schwer abzuschätzen und kommt entscheidend auf die Lage im Land an. Klar ist aber, dass Russland und China im Sicherheitsrat solch ein Mandat blockieren könnten. Beide Länder verfolgen in Afrika eigene wirtschaftliche Interessen.

Welche politischen Folgen hätte eine Militäraktion des Westens gegen das Gaddafi-Regime?

Libyen ist ein islamisches Land. Klar ist, dass das Terrornetzwerk El Kaida umgehend versuchen würde, die Aktion für seine Propaganda auszuschlachten. Gut möglich, dass die Islamisten weiteren Zulauf bekämen. Zudem setzte sich der Westen der Kritik aus, aus rein wirtschaftlichen Erwägungen zu intervenieren. Stichwort Ölquellen. Zumal der Westen an anderen Krisenherden auch nicht militärisch aktiv geworden ist.

Welche Beispiele gibt es dafür?

Man muss nur auf dem afrikanischen Kontinent bleiben. Seit 2003 führte die sudanesische Regierung einen Völkermord gegen die eigene Bevölkerung in der Region Darfur. Zahllose Dörfer wurden bombardiert und niedergebrannt. Bis zu 500 000 Menschen starben. Oder: In Ruanda töteten 1994 Angehörige der Bevölkerungsgruppe der Hutu rund 75 Prozent der Tutsi-Minderheit in dem Land. Es gab etwa 800 000 bis eine Millionen To­desopfer. In beiden genannten Fällen griff der Westen nicht militärisch ein, obwohl beide Male nach allgemeiner Einschätzung von einem Völkermord gesprochen werden konnte.

Gibt es bereits Forderungen nach einem UN-Mandat für Libyen?

Ja. Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn hat ge­fordert, man müsse sich um ein UN-Mandat bemühen, um die Massaker zu unterbinden: „Was in Libyen geschieht, ist meines Erachtens Völkermord in höchster Potenz.“ Mit ei­nem Mandat der UN ließen sich unter anderem die Flüge nach Libyen kontrollieren, damit nicht weitere Söldner dorthin gelangten, sagte er.