Am heutigen Donnerstag dürften die Auseinandersetzungen weitergehen: Die Opposition rief via Internet in allen libyschen Städten zu Massendemonstrationen gegen das Gaddafi-Regime auf. „Es reicht“, lautet das Motto für den „Tag des Zorns“ in Libyen. „Wir werden unseren Kampf für die Freiheit beginnen.“ Gaddafi, seit 42 Jahren an der Macht und dienstältester Diktator Afrikas, drohte derweil allen, die „Chaos“ säen wollten, mit harten Konsequenzen. „Wir wollen Freiheit“, riefen die Menschen in Benghazi. „Schluss mit der Korruption.“ Sie versammelten sich zunächst vor einer Polizeiwache, in der der prominente Menschenrechtler Fathi Tarbel vorübergehend festgehalten wurde.
Jener Mann, der seit 15 Jahren für die Aufklärung des Massakers im Abu-Slim-Gefängnis in Tripolis kämpft. 1996 hatte die Polizei in den Abu-Slim-Kerkern einen Aufstand gegen die inhumanen Haftbedingungen zusammengeschossen: Rund 1200 Tote soll es damals gegeben haben.
Mit Tränengas, Wasserkanonen, Knüppeln und möglicherweise auch scharfen Schüssen trieb Gaddafis Sicherheitsarmee nun die Demonstranten in Benghazi auseinander. Eine Hafenstadt, in der 700 000 Menschen leben. Augenzeugen berichteten, dass immer mehr Bewohner auf die Straße strömten und Parolen gegen die Diktatur schrien. In mehreren Stadtteilen und im Zentrum, vor dem Sitz der regionalen Regierung, habe es weitere spontane Proteste gegeben. Im Internet kursieren Videos der Demonstrationen, auf denen man Schüsse der Polizei vernimmt, Verletzte zusammensinken sieht und Rufe hört wie „Gaddafi, raus!“
Im libyschen Staatsfernsehen sah Gaddafis Welt hingegen ganz anders aus: „Im ganzen Land“, berichtete der Propagandasender, habe es Kundgebungen für Gaddafis „Herrschaft des Volkes“ gegeben. Garniert mit Bildern, auf denen das Partei-Fußvolk von Oberst Gaddafi ihren „Revolutionsführer“ bejubelte. Menschenrechtsgruppen berichten jedoch, dass die Geheimpolizei zahlreiche Blogger und Bürgerrechtler verhaftet habe.
Allerorten ist spürbar, dass Gaddafi besorgt ist, dass es auch in seinem Land, in dem er bisher unangefochten mit seiner allgegenwärtigen Polizei und unzähligen lokalen Revolutionskomitees herrschte, nervös wird. Viele Sicherheitskräfte sind auf den Straßen zu sehen. Tausende Libyer, darunter auch viele Intellektuelle, Rechtsanwälte, und Exil-Oppositionelle unterstützen jedoch den Aufruf für die heutigen Massenproteste.
Gaddafi versuchte bisher vergeblich, die schon seit Wochen immer wieder aufflammenden Unruhen zu ersticken: Er hatte im Januar angeordnet, Steuern und Zölle auf die auch in Libyen immer teureren Lebensmittel abzuschaffen. Als dies den Volkszorn kaum beruhigte, gelobte er, umgerechnet 17 Milliarden Euro für ein Infrastruktur-Programm in der unterentwickelten Provinz locker zu machen.
An Geld für soziale Wohltaten mangelt es Gaddafi nicht. Sein Wüstenstaat ist Dank der Erdöl- und Gasvorkommen der reichste Nachbar der ganzen nordafrikanischen Region -- auch wenn das Volk wenig davon hat. Eine Erklärung für die Unzufriedenheit im Land hat Gaddafi übrigens auch schon: Dies sei eine „imperialistische Konspiration“.