Tunis/Madrid. . Tausende von Menschen versuchen mit kleinen Booten, dem Elend in Tunesien zu entfliehen. Ihr Ziel ist die kleine italienische Insel Lampedusa das „Tor zu Europa“.
Das Tor nach Europa ist plötzlich auf. Zehntausende junge Tunesier wollen versuchen, nach Europa überzusetzen.
Seit sich in dem nordafrikanischen Land herumgesprochen hat, dass vier Wochen nach dem erfolgreichen Aufstand gegen das Regime in Tunis auch die Grenzkontrollen an der Küste Tunesiens löchrig geworden sind, legen täglich Dutzende von kleinen wackeligen Booten Richtung Italien ab. Und es könnten angesichts der großen Not und des gigantischen Reformstaus noch viel mehr werden, warnen Flüchtlingsexperten.
Sie brechen im Schutz der Nacht auf. Von irgendeinem tunesischen Strand. Dort bieten Fischer und Menschenschmuggler Überfahrten zur italienischen Insel Lampedusa an. Meistbietend werden alte Kähne verhökert, berichten lokale tunesische Medien, tausende warten auf eine Fluchtchance. „Wir haben uns einfach mit anderen jungen Männern zusammengetan“, erzählen Ankömmlinge auf der Insel Lampedusa, „und ein billiges altes Schiff gekauft.“ Jeder habe rund 1000 Euro bezahlt. Man finde immer einen Landsmann, der dann halbwegs damit umgehen könne.
Zusammengedrängt hinter der Reling
Knapp 150 Kilometer übers Meer misst der kürzeste Weg zur Insel Lampedusa, wenn man von dem ziemlich genau gegenüber liegenden tunesischen Hafenstädtchen Chebba aufbricht. Gut zehn Stunden sind die Kähne unterwegs, soweit die See ruhig ist, wie in den letzten Tagen. Viele Boote starten auch in den Häfen der weiter südlich liegenden Küstenorte Sfax, Gabes, Zarzis oder Ben Gardane. Von dort dauert die lebensgefährliche Reise unter Umständen einen Tag und eine Nacht.
Zusammengedrängt hocken sie auf dem Deck der kleinen Boote, deren Anstriche vergilbt, deren Rümpfe verrostet sind. Zusammengepfercht sitzen sie hinter der Reling, sogar auf dem Dach der Kajüte. Mit dicken Jacken, Kapuzen und Mützen gegen die Kälte.
Sie beten, dass sie vor der Abfahrt nicht von der tunesischen Küstenwacht oder der Polizei erwischt werden. Dabei ist die Wahrscheinlichkeit gering. Mit dem Sturz der Diktatur des Despoten Zine el-Abidine Ben Ali ist auch sein Sicherheitsapparat zerfallen. Viele Polizisten und Grenzwächter schieben nur noch lustlos ihren Dienst, wollen auch weg, lassen die tunesischen Wirtschaftsflüchtlinge ungehindert abfahren.
„Ben Ali ist abgehauen. Und wir gehen auch“
Nur ein paar Boote wurden bislang von der tunesischen Küstenwacht abgefangen. Einige Kähne sollen auf See gesunken sein. Wie viele Opfer dieses Fluchtdrama auf dem Mittelmeer bereits gefordert hat, weiß niemand.
Die Geschichten der Menschen gleichen sich: „Wir wollen in Europa arbeiten“, berichten sie nach ihrer Ankunft. „Mit dem verdienten Geld unsere Familien unterstützen.“
Unter ihnen sind viele jener Akademiker, die in ihrer Heimat ohne Job auf der Straße stehen. Die wochenlang für eine bessere Zukunft Gerechtigkeit demonstrierten. Die auch unter der jetzigen Übergangsregierung keine Hoffnung auf schnelle Besserung der Lage zu Hause haben. „Ben Ali ist abgehauen“, sagt einer, „und wir gehen auch.“