Berlin. . Die Reform der Hartz-Reform ist gescheitert. Vorerst. Nun fegen Regierung und Opposition die Scherben zusammen. Schon am Freitag wird es zum Schwur im Bundesrat kommen.

Angela Merkel hat nicht angerufen. Weder bei Sigmar Gabriel noch bei Frank-Walter Steinmeier. Die Spitzenleute der SPD ahnen am Dienstagabend, was am Morgen danach zur Gewissheit wurde: Die Kanzlerin hat die Gespräche über Hartz IV abmoderiert. Bevor sie sich von Grünen und SPD am Na­senring ziehen lässt, nimmt sie lieber ein Scheitern in Kauf.

Die Gefühlslage der Opposition ist ähnlich. Gemeinsam dämmert ihnen, dass diese Nacht wohl die „letzte Chance“ war, den Streit „ohne Schaden für die Politik insgesamt“ zu lösen, wie SPD-Fraktionsmanager Thomas Oppermann meint. Darum ist es wichtig, die Deutungshoheit zu er­obern, darum legen sich er und sein Unions-Kollege Peter Altmaier so ins Zeug, die Schuld jeweils beim anderen abzuladen.

Altmaier macht „ein drastisches Führungsversagen von Sigmar Gabriel“ aus, während Manuela Schwesig, SPD-Unterhändlerin, die Schuld bei Merkel sieht, der „eiskalten Machtpolitikerin“. Es gibt freilich Wichtigeres als die Schuldfrage: Wie geht es weiter? Sind weitere Anläufe für einen Konsens möglich? Wie reagieren Ge­richte, Kommunen und die Hilfsempfänger? An wem bleibt letztlich das Etikett „Blockierer“ kleben?

Die Union vertraut voll und ganz auf die Wirkung einer Zahl: 3,5 Milliarden Euro. So viel Geld wollte der Bund den Kommunen für die „Grundsicherung“ im Alter geben. Jetzt ist es keine sichere Bank mehr. Das Kalkül der Union ist, dass die Kämmerer und Bürgermeister der SPD Druck von unten machen.

Im Vermittlungsausschuss haben Union und FDP eine Mehrheit. Dort setzten sie ihr Konzept – fünf Euro mehr an Hartz IV und ein Bildungspaket für Kinder – in Reinform durch. Zum Schwur kommt es erst am Freitag im Bundesrat. Da keine Seite dort eine Mehrheit hat, müsste das Paket scheitern. Die Frage, die Machtpolitiker umtreibt, lautet: Hat sich die Kanzlerin un­ter der Hand ein Land „ge­kauft“, sich mit Versprechungen dessen Stimmen gesichert? Aus der Riege der Mi­nisterpräsidenten fällt der Blick auf zwei Männer: Wolfgang Böhmer aus Sachsen-Anhalt re­giert mit der SPD und hört bald auf. Ihn kann man nicht bestrafen, wenn er sich über die SPD hinwegsetzt und ge­gen die Absprache seiner Ko­alition für Merkels Paket stimmt. Da ist dann noch Peter Müller aus dem Saarland. Im Sommer hört auch er auf. Das Saarland ist klein, arm und aus Erfahrung widerborstig. Müller regiert mit FDP und Grünen, über die er sich im Bundesrat hinwegsetzen müsste. Dreht Merkel einen um, wäre ihr Erfolgserlebnis perfekt.

Wenn der Coup nicht gelingt oder nie geplant war, wird es unübersichtlich. Erstens müsste man den Vermittlungsausschuss wieder anrufen. Das geht bis zu drei Mal. Das heißt, dass „Frau Schwesig weiter im Fernsehen bleibt“, wie Hans-Peter Friedrich (CSU) lästert. Es wird lästig, wie Schwe­sig frischen Wind in die Politik gebracht hat. Wir erleben gerade den ersten großen Streit, in dem Frauen die Hauptrolle spielen: Merkel, Schwesig und von der Leyen.

Ärger mit Kommunen

Zweitens würde nichts leichter werden, weil bei der Wahl in Hamburg die SPD die CDU ablösen dürfte und ihren Radius im Bundesrat ausweiten wird. Drittens müsste Fi­nanzminister Schäuble mit den Kommunen verhandeln, wo er doch gehofft hatte, sich auf einen Schlag und ohne lästige Diskussionen mit 3,5 Milliarden Euro weitere Forderungen vom Hals zu halten.

Viertens stellen sich alle da­rauf ein, das Hartz-IV-Empfänger nun vermehrt ihre Ansprüche einklagen. Alles hängt davon ab, ob Merkel einen Ministerpräsidenten in der Hand hat. Sie hatte den Streit zur Chefsache erklärt. Aber wie hat sie das nur gemeint?