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Wegen der kritischen Lage in Ägypten werden die Stimmen deutscher Politiker lauter, die vor einer Machtübernahme durch islamische Fundamentalisten warnen. Die Kräfteverhältnisse sind unübersichtlich. Wer setzt sich durch? Wie lassen sich demokratische Kräfte fördern? Ein Gespräch mit Asiem El Difraoui, Mitglied der Forschungsgruppe „Ägypten und Naher Osten“ an der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Ein Teil seiner Familie stammt aus Ägypten.

Wie kann die internationale Gemeinschaft die demokratischen Kräfte im Lande stützen?

Asiem El Difraoui: Deutschland und die EU müssen sich jetzt mal was trauen. Sie müssen Kontakt suchen zu Menschenrechtsgruppen und zu demokratischen Kräften. Es gibt eine Zivilgesellschaft in Ägypten, sie ist zwar klein und schwach, doch sie existiert. Die Experten haben schon immer geraten, dass offiziell versucht werden sollte, mit dem moderaten politischen Islam zu reden.

Was kann das Ausland konkret unternehmen?

Man sollte eine im ägyptischen Volk akzeptierte und populäre Figur suchen und diese unterstützen. Mohammed El Baradei wäre eine solche Figur. Interessant ist, dass die Muslimbrüderschaft als stärkste Oppositionsgruppe of­fenbar mit ihm zusammenarbeiten will. Ein zweiter Kandidat wäre der Chef der Arabischen Liga und ehemalige ägyptische Außenminister Amr Mussa, der bis 2001 im Amt war. Er ist bei den Ägyptern sehr beliebt. Zugleich muss das Ausland Mubarak klar machen, dass die Gewalt ein Ende haben muss.

Welche Rolle spielen die Muslimbrüder bei den derzeitigen Unruhen?

Klar ist, dass sie die Proteste nicht begonnen haben. Man muss sehen, dass sie ein Machtfaktor in Ägypten sind. Ohne sie geht es nicht. Bei Parlamentswahlen würden sie nach Schätzungen mindestens 20 bis 30 Prozent der Stimmen erhalten. Auch mit ihnen muss man also reden.

Was sind die Forderungen der Muslimbrüderschaft?

Zunächst muss man fragen: Wer ist die Muslimbrüderschaft? Sind das die radikalen Fundamentalisten? Oder die 30 Prozent, die auch demokratische Reformen befürworten und sogar Baradei unterstützen? Springen sie jetzt auf den Zug auf? Die Muslimbruderschaft ist eine große Volksbewegung, unter ihnen gibt es Vertreter eines gemäßigten Islam und auch radikale Gruppierungen. Bis jetzt jedenfalls halten sie sich bedeckt aus Angst, dass Repressionen sie wieder zuerst treffen würden. Als Muslimbrüder bei den Protesten riefen „Die Lösung ist der Islam“, wurden sie ausgebuht. Interessant, oder?

Wer sind die Demonstranten?

In Ägypten ist die Unzufriedenheit der jungen Menschen noch größer als in Tunesien. Es sind vor allem junge Leute aus der Mittelschicht, 19 bis 25 Jahre alt, viele haben studiert, aber haben keine Chance auf einen angemessenen Beruf. Sie halten sich mit Nebenjobs über Wasser, haben keine sozialen Freiräume, können nicht heiraten, weil das Geld fehlt, und leben bei den Eltern, bis sie 30 sind. Sie stammen aus einer westlich orientierten Mittelschicht und sind angebunden an die globale Jugendkultur. Sie wollen keine Pharaonenherrschaft mehr, ihnen reicht’s. Mubarak soll gehen.

Mubarak gilt aber vor allem den Vereinigten Staaten als Garant der Stabilität im Nahen Osten.

Das Ausland hat Angst vor dem Schreckgespenst des Islamismus. Doch ich glaube nicht, dass eine neue Regierung auf Konfrontationskurs zu Israel gehen würde, selbst wenn einige Islamisten an der Regierung beteiligt wären. Die Menschen haben kein Interesse daran. Sehr viele Ägypter le­ben vom Tourismus, ein Krieg würde das und die erkämpften Freiheiten wieder gefährden.