Tunis/Madrid.
Aufstand der frustrierten Jugend in Tunesien und Algerien: Bei Straßenschlachten sind mindestens 20 Menschen getötet worden. Noch gibt das Auswärtige Amt keine Reisewarnung für deutsche Urlauber heraus.
Steine, Flaschen und Molotow-Cocktails fliegen, klatschen gegen Fassaden, aufs Straßenpflaster und gegen die Schutzschilder der Polizei. Szenen aus jenen Straßenschlachten, die seit Tagen in mehreren Städten Tunesiens wüten. Junge Demonstranten brüllen: „Schluss mit der Unterdrückung.“ Und: „Verteilt den Wohlstand im Land.“ Die Polizei des mit eiserner Hand regierenden Staatspräsidenten Zine el-Abidine Ben Ali (74) antwortet mit Knüppeln, auch mit Schüssen. Mindestens 20, vielleicht sogar 50 Demonstranten sollen bei den Unruhen getötet worden sein, berichten Oppositionelle.
Die EU schweigt
Die schöne Fassade des Urlaubsparadieses Tunesien bekommt mit diesem Gewaltausbruch tiefe Risse. Vor allem europäische Sonnenanbeter fliegen gerne in das nordafrikanische Wüstenland, an dessen Mittelmeerküste auch im Winter frühlingshafte Temperaturen locken. Alleine aus Deutschland, dem drittgrößten Handelspartner des Ben-Ali-Reiches, kommen jedes Jahr eine halbe Million Urlauber. 90 Prozent von ihnen steigen als Pauschaltouristen in schicken Hotels ab und genießen Tunesiens exotisches Flair. Die EU, Wirtschaftsgefährte und politischer Verbündeter Tunesiens, schweigt bisher zur gewaltsamen Unterdrückung der Proteste.
„Man hat sogar auf Leichenzüge geschossen“, berichtet Ahmed Nejib Chebbi von der tunesischen Oppositionspartei PDP. Es soll Hunderte Verletzte gegeben haben. Die Informationslage ist schwierig, da es in Tunesien keine unabhängigen Medien gibt und kritische Journalisten verfolgt, auch verhaftet werden. Bilder und Berichte über die blutigen Proteste sollen den Schein des gerne als arabischer Vorzeigestaat gepriesenen Tunesiens nicht trüben.
Keine Perspektive
In der Stadt Sidi Bouzid, nördlich von Tunis, verbrennt die Menge Fotos des Herrschers Ben Ali, der seit 23 Jahren an der Macht ist und das Land zu einem Polizeistaat ausbaute. Sidi Bouzid ist eines der Epizentren der Demonstrationen gegen das Regime und für Zukunftschancen der jungen Generation. Dort zündete sich auf dem Marktplatz ein junger Informatiker selbst an, weil er keine Perspektiven mehr sah und sich von den Behörden schikaniert fühlte.
Sein Tod war der Funke, der die Proteste auslöste. Rund zwei Drittel der etwa 10,5 Millionen Tunesier sind jünger als 30 Jahre. Die Arbeitslosigkeit liegt offiziell bei etwa 13 Prozent; bei den jungen Leuten, darunter viele Akademiker, wird sie jedoch auf wenigstens das Doppelte geschätzt. Die tunesische Opposition fordert den Rücktritt Ben Alis.
Der Aufstand der frustrierten Jugend breitet sich auch auf das Nachbarland Algerien aus, wo die sozialen Bedingungen noch schlimmer sind als in Tunesien. Öffentliche Gebäude wurden in Brand gesteckt, Geschäfte geplündert. Bisher wurden fünf Tote und 1000 Verletzte gemeldet.
Keine Reisewarnung
Das Auswärtige Amt rät wegen der Ausschreitungen zu besonderer Vorsicht bei Reisen nach Tunesien. Touristen seien bisher zwar nicht betroffen. Trotzdem sollten sich Reisende grundsätzlich von Demonstrationen fernhalten, sagte ein Sprecher des Amtes. Noch hat das Amt keine offizielle Reisewarnung ausgesprochen. Anders sieht die Situation in Algerien aus. Von Reisen in den südlichen Teil des Landes wird generell abgeraten – zu groß sei hier die Gefahr für Leib und Leben. Die Situation in beiden Ländern werde ständig beobachtet und die Reise-Empfehlungen gegebenenfalls angepasst, hieß es.