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Die ersten zehn Jahre des Jahrtausends sind vorbei. Eine wilde Zeit. Neue Trends haben sich nachhaltig durchgesetzt. Manche schleichend. Andere mit großer Wucht. Eine Betrachtung.
2000 gab es weder I-Pods noch -Pads. Hartz IV mochten die Deutschen damals für ein Hotel-Resort in einem Mittelgebirge halten, „Tafeln“ ausschließlich für ein Schokolade-Viereck, „Facebook“ hätte als Werk eines Porträtfotografen gelten können. Die Bilanz unterm Strich ist: Nicht alles ist schlechter geworden. Im Gegenteil. Ein Jahresend-Blick, rein statistisch: Wie hat sich das Land verändert?
Wir leben länger
Die Senioren von heute werden im Schnitt 77,3 Jahre alt, wenn sie Männer sind. Frauen erreichen ein Alter von 82,5 Jahren. So viel wie nie zuvor. Das Statistische Bundesamt hat den Schnitt auf Grund der Sterbetafeln errechnet. Zur Erinnerung: In den 50er-Jahren lag die Lebenserwartung gerade in Höhe des Rentenalters. Das längere Leben der Durchschnittsdeutschen bedeutet auch, dass die Rentnermacht wächst. 2000 waren es 19 007 209. Heute zählt die Deutsche Rentenversicherung 20 492 221 Ruheständler.
Wir leben gesünder
1999 wurden täglich 398 Millionen Zigaretten geraucht, heute noch gerade 270 Millionen. Der Alkoholkonsum hat sich – schon über 30 Jahre – um ein Drittel verringert. Die Folgen sind in der Krankheitsstatistik nachlesbar. In nur 15 Jahren ist die Sterblichkeit bei Herz/Kreislauferkrankungen bei Männern um 33 Prozent und bei Frauen um 45 Prozent gesunken. Zwar gibt es auch andere Entwicklungen: Mehr Depressionen werden therapiert – und die Zahl der Übergewichtigen ist seit der Jahrtausendwende von 47,7 Prozent der Bevölkerung auf 51,4 Prozent gestiegen. Aber das wird gleich durch mehr Fitness-Bemühungen ausgeglichen. Sieben Millionen sind in den einschlägigen Vereinen Mitglied. Vier Millionen waren es 1999.
Wir leben komfortabler
Im Alltag kaum spürbar machen wir uns beim Wohnen breit. Lebte der Durchschnittsmieter Ende des letzten Jahrhunderts auf 68,3 Quadratmeter Fläche, verfügt er heute über 70. Eigentümer verbesserten sich von 118,6 Quadratmeter auf im Schnitt 121. Und Eigentum schlägt zunehmend Miete. Denn schon 43, 2 Prozent nennen ihr Heim das eigene. Zehn Jahre zuvor waren es 40,3 Prozent. Von diesen Trends profitieren auch die Jüngeren. Kinderzimmer wurden bei Mietern (von 14,2 auf 14,8 Quadratmeter) wie auch Eigentümern (von 19,3 auf 19,5 Quadratmeter) größer.
Wir leben technischer
Küche und Kommunikation waren in den ersten zehn Jahren des Jahrtausends die Schauplätze gigantischer Umwälzungen. Mikrowelle (statt in 18,9 Prozent der Haushalte jetzt in knapp 30) und Spülmaschine (Karriere von 16,6 auf 24,7 Prozent) haben die Gefriertruhe verdrängt. Jeder dritte hatte eine Ende letzten Jahrzehnts, heute ist es gerade noch jeder fünfte. Spart man? Man gibt anderswo aus. Denn weit mehr Wert legen die Deutschen auf Unterhaltungselektronik und Kommunikation. Landesweit gibt es 43,5 Millionen Menschen, die ans Internet angeschlossen sind. 108 Millionen Handyverträge gibt es. Die Vergleichszahlen von 1999 haben den Anschein der Steinzeit: 11,2 Millionen Internet-Verbindungen und 23,5 Millionen Mobilfunkgeräte.
Wir schonen die Umwelt
Bei allen Sorgen um den menschengemachten Klimawandel: Es gibt gute Nachrichten. Waldsterben war mal. Unser emotionalstes Stück Natur wächst wieder. 2000 gab es 105 314 Quadratkilometer in Deutschland, heute sind es 107 534 Quadratkilometer oder 30 Prozent der Fläche. Natur erobert sich auch andere Räume zurück. Tausende Lachse schwimmen im Rhein, 1950 lebte hier keiner. Die Optimisten setzen jetzt auf 20 000 dieser Tiere bis zum Jahr 2020. Grund ist sicher eine neue Sauberkeit: Die Schadstoffe im Fluss nehmen ab, Arsen und Quecksilber verdrücken sich.
Wir sind anders mobil
Der nächste Einschnitt: Billigfliegerei hat ihn verursacht, ist doch der durchschnittliche Lufthansa-Ticketpreis Frankfurt-London in zehn Jahren um 100 Euro auf rund 99 gefallen. 120 Millionen Passagiere fertigten Deutschlands Flughäfen 2000 ab. Heute sind es knapp 160 Millionen. Auch das Auto erreicht neue Rekorde. 50,2 Millionen sind beim Kraftfahrtbundesamt gemeldet. Aber Vorsicht: Zu Beginn des neuen Jahrzehnts ist dieser Trend dabei, zu kippen. Junge Leute, Singles, Stadtbewohner verzichten immer öfter auf den Autokauf, setzen in Sachen Mobilität auf Bus und Bahn und investieren – in die Erfolgsstory Elektronik. Vielleicht liegt es daran: Der Spritpreis stieg von 84 Cent (1999) auf irgendwo zwischen 130 und 145 Cent, je nach Laune der Ölmultis.
Wir sind: Weniger? Mehr?
Erst mal: Die Fragezeichen sind berechtigt. Das Ende der nächsten Volkszählung (Start: 2011) wird Klarheit bringen. In den letzten zehn Jahren jedenfalls stagnierte die Republik bei 82 Millionen Einwohnern – eine offizielle Angabe, die die Statistiker selbst anzweifeln. Es könnten auch bis zwei Millionen weniger sein, denn das Umziehen war in den letzten zehn Jahren eine Modeerscheinung (Von West nach Ost: eine Million. Von Ost nach West: 1,6 Millionen) – und dann klappt das mit dem An- und Abmelden nicht immer. Andere Bevölkerungs-Veränderungen springen mehr ins Auge: Die Zahl der Muslime wuchs seit 2000 von drei auf vier Millionen, die der allein Erziehenden von 1,39 auf 1,56 Millionen.
Und: Unpolitischer?
Nach den Maßstäben der Volksparteien: Ja. Der Stimmenanteil von CDU, CSU und SPD bei Bundestagswahlen ist seit 1998 von 76 Prozent auf gerade noch 57 gesunken. Auch die durchschnittliche Wahlbeteiligung ging zurück: Von 79 auf 71 Prozent. Dagegen spricht: Stuttgart 21. Das Engagement verlagert sich eben. Volksentscheide auf lokaler Ebene verdreifachten sich seit den 90er-Jahren.