Berlin/Kunduz. Der Kanzlerin spätes Eingeständnis, die Kampfhandlungen in Afghanistan glichen "Kämpfen, wie man sie im Krieg hat", klingt gewunden:
„Wenn man sich mit der Realität unserer Soldaten befasst“, ließ sich die prominente Besucherin im deutschen Feldlager vernehmen, „ist das eben in der Region Kunduz so, dass sie in wirklichen Gefechten stehen – so wie Soldaten das in einem Krieg tun“.
Hat Frau Merkel das wirklich nicht gewusst? Hat sie an der frommen Legende der regierungsoffiziellen Sprachregelung festhalten wollen, die Bundeswehr halte sich zu einem „Stabilisierungseinsatz“ am Hindukusch auf? Der von der UNO erteilte Auftrag der internationalen Schutztruppe (ISAF) war laut Resolution 1386 von Anfang an ein „Friedenserzwingender Einsatz“ – im Diplomaten-Kauderwelsch heißt dies Krieg.
Immerhin widersteht die Kanzlerin der in Berlin derzeit wohlfeilen Parole etlicher Politiker vor allem der SPD und der Grünen, sich auf einen festen Rückzugstermin der Soldaten Ende 2011 festzulegen: „Das setzt voraus, dass die Lage auch so ist, dass man das verantworten kann“. Vermutlich wird die Lage nicht so sein.
Gewalt eskaliert
Am Tag nach Merkels Stippvisite stürmen vier Selbstmordattentäter in Kunduz ein Rekrutierungslager der afghanischen Armee – sieben Soldaten verlieren ihr Leben. Die ISAF-Truppe hat 2010 mit über 700 Gefallenen ihre bislang höchsten Verluste zu beklagen – im Schnitt sterben zwei Soldaten pro Tag im Krieg um Afghanistan. Seit Beginn des Einsatzes vor neun Jahren ließen 2 271 Nato-Soldaten ihr Leben.
Ein dem Weißen Haus vorliegender nicht öffentlicher Bericht weist aus, dass die US-Truppen und ihre Verbündeten gegenüber den aufständischen Taliban zwar Boden gutgemacht haben. Doch im Raum Kunduz eskaliert die Gewalt, erhöhten sich die Angriffe und Anschläge im Vergleich zum Vorjahr um 39 Prozent. Weder die in den deutschen Verantwortungsbereich zur Verstärkung entsandten 5 000 US-Soldaten noch die „Anpassung des deutschen Vorgehens bei der Aufstandsbekämpfung“, heißt es im Bericht, hätten den Anstieg der Gewalt verhindert. Übersetzt: Die deutschen Soldaten führen Krieg, sie greifen an und werden angegriffen, sie schießen und werden beschossen, sie verletzen und töten, sie werden verletzt oder werden getötet. Die Bundeswehr ist in die „härtesten Gefechte ihrer Geschichte“ verwickelt, sagt ein Kommandeur vor Ort.
Das wissen die Kriegstouristen aus Berlin allenfalls vom Hörensagen. Sie geben ihre Weihnachtsbotschaften für die Heimatfront im Hochsicherheitstrakt des deutschen Feldlagers ab. Ausflüge nach Kunduz oder gar Kontakte zur Bevölkerung sind für VIPs (oder deren Gattinnen) zu riskant. Sonst wäre jenen, die eilfertig einem „sofortigen Abzug“ das Wort reden, wohl bewusster, dass es in Afghanistan nicht nur keine militärische Lösung gibt. Sondern auch keine diplomatischen Verhandlungen. Der korrupten Regierung in Kabul fehlt es nicht an Bestechungsgeldern, wohl aber an Verhandlungspartnern.