Berlin. Der rechtsextremistische Anschlag von Hanau jährt sich zum fünften Mal. Vor Ort finden Gedenkveranstaltungen statt, Angehörige üben Kritik.
Im Februar 2020 erschoss der 43-jährige Tobias R. in Hanau binnen weniger Minuten neun Menschen aus rassistischen Motiven. Anschließend tötete er seine Mutter und sich selbst. Unter dem Motto „Gemeinsam gedenken für Zusammenhalt und Zukunft“ wird am heutigen Mittwoch, inzwischen fünf Jahre nach der Tat, der Opfer gedacht. Zur offiziellen Gedenkveranstaltung wird auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nach Hanau kommen, er soll am Mittag sprechen.
„Sie dürfen niemals in Vergessenheit geraten und der Tag darf niemals in Vergessenheit geraten“, betont der Hanauer Oberbürgermeister Claus Kaminsky (SPD) im Vorfeld der Veranstaltung. Die Tat sei eine Mahnung, gemeinsam für Demokratie und Zusammenhalt einzustehen und sich entschieden gegen Rassismus, Extremismus, Hass und Hetze zu positionieren.
Bürgermeister von Hanau warnt vor Spaltung
„Die jüngsten Anschläge von Magdeburg und Aschaffenburg stecken auch mir in den Knochen“, sagt der OB. Die Diskussion vor der Bundestagswahl zeige, dass die gesellschaftliche Situation in den vergangenen fünf Jahren schwieriger geworden sei. Die Polarisierung nehme europaweit zu. „Wir müssen uns als Gesellschaft am Grundgesetz orientieren, also würdevoll miteinander umgehen. Nächstenliebe, Respekt und Toleranz sind Leitplanken, wir dürfen Menschen nicht auf den Leim gehen, die uns gegeneinander aufbringen wollen.“
Staatsministerin Reem Alabali-Radovan (SPD) hingegen warnte vor rechtsextremer Kriminalität. Diese habe 2024 Höchstwerte erreicht, und auch rassistische Positionen nähmen zu, erklärte die Beauftragte der Bundesregierung für Antirassismus am Dienstag in Berlin. Polarisierte Debatten über Flucht und Migration stigmatisierten Menschen mit Einwanderungsgeschichte. Sie wird ebenfalls in Hanau erwartet. Sie betonte, dass viele migrantische Menschen in Deutschland „richtig Angst“ hätten und fürchteten, „dass sie als nächstes dran sind.“ Die SPD-Politikerin sagte: „Neun Menschen wurden in Hanau ermordet, aber gemeint war jeder Vierte im Land, nämlich 21 Millionen mit Einwanderungsgeschichte.“
Der Opferbeauftragte der Bundesregierung, Roland Weber, erklärte anlässlich des Jahrestags, das Gedenken solle eine Mahnung sein, „dass Rassismus und Diskriminierung für viele Menschen in Deutschland Alltag sind“. Es sei „unsere Aufgabe als Gesellschaft, uns gegen diesen Hass zu stellen“.
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Bundesjustizminister Volker Wissing erklärte: „Rechtsterroristische Taten wie die von Hanau richten sich stets auch gegen unser Selbstverständnis als offene und vielfältige Gesellschaft.“ der Minister mahnte: „Wir dürfen uns auch in Zeiten intensiver politischer Debatte nicht spalten lassen.“
Migration beherrscht Bundestagswahlkampf 2025
Die öffentliche Aufmerksamkeit für den Jahrestag sei allerdings nicht mehr so stark wie in den ersten Jahren nach der Tat, sagt Newroz Duman, Sprecherin der Initiative 19. Februar, in der sich Angehörige und Betroffene des Anschlags sowie Unterstützer zusammengeschlossen haben. Doch nach wie vor beteiligten sich in vielen deutschen Städten Gruppen, Institutionen oder einzelne Menschen an dem Gedenken unter dem Motto „Say Their Names“. Das habe sich verfestigt.
Anders als im vergangenen Jahr hatte die Initiative diesmal nicht bundesweit zu einer Großdemonstration nach Hanau eingeladen. Das liege auch daran, dass im Oktober, als die Planungen anliefen, die gesellschaftliche Aufmerksamkeit für den bevorstehenden Jahrestag nicht so groß gewesen sei, sagt die Sprecherin. Dass der Jahrestag wenige Tage vor einer vorgezogenen Bundestagswahl liegen wird und das Thema Migration mittlerweile die politische Auseinandersetzung beherrscht, war damals nicht abzusehen.
Rechtsextremismus und Rassismus: Jugendbündnis demonstrierte am Wochenende
Inzwischen fühlt sich Duman an das vergangene Jahr erinnert, als im Januar nach Enthüllungen des Recherchezentrums Correctiv über ein Treffen radikaler Rechter deutschlandweit Hunderttausende auf die Straße gingen. In Hanau kanalisierten sich diese Proteste am 17. Februar 2024 bei der Kundgebung zum vierten Tag des Anschlags, an der mehrere Tausend Menschen der Opfer gedachten und gegen Rassismus und Rechtsextremismus demonstrierten.
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Am vergangenen Samstag nahmen nach Polizeiangaben bereits rund 1.000 Menschen an einer von einem städtischen Jugendbündnis organisierten Demonstration durch die Hanauer Innenstadt teil, bei der sie an die Opfer erinnerten und zum Kampf gegen Rassismus und Rechtsextremismus aufriefen. Die Veranstalter schätzten die Zahl sogar auf etwa 1.500 Teilnehmer.
Nach dem Protestzug versammelten sich Hinterbliebene, Freunde und Unterstützer zu einem Gedenkabend im Veranstaltungszentrum Congress Park Hanau. Die Veranstaltung war laut Duman als „selbstbestimmtes Gedenken“ von der Initiative organisiert worden. Mehrere Rednerinnen und Redner erneuerten die Kritik an Politik, Polizei und Justiz, denen sie mangelnden Aufklärungswillen und fehlende Konsequenzen für damals verantwortliche Politiker und Beamte vorwarfen.
Die Hinterbliebenen und ihre Unterstützer hadern auch fünf Jahre nach der Tat weiter mit dem nach ihrer Ansicht mangelnden Aufklärungswillen staatlicher Einrichtungen und dem Ausbleiben von Konsequenzen für Politiker wie dem früheren Innenminister Peter Beuth (CDU) und führende Polizisten. „Das ist enttäuschend und zum Verzweifeln“, kritisiert Duman. Dabei hätten die Angehörigen und ihre Unterstützer vieles zur Tatnacht und zum Versagen staatlicher Stellen ans Tageslicht gebracht.
Staatsanwaltschaft Hanau will Verfahren nicht nochmal aufnehmen
Der Versuch zweier Hinterbliebenenfamilien, mit Strafanzeigen die Ermittlungen rund um die Tat wieder ins Rollen zu bringen, scheiterte kurz vor dem fünften Jahrestag der Tat. Die Staatsanwaltschaft Hanau lehnte dies in beiden Fällen ab.
Bei der einen Strafanzeige sah die Behörde im Januar bei einer abermaligen Prüfung kein „strafrechtlich relevantes Fehlverhalten“ führender Polizeibeamter und stellte die Ermittlungen ein. Dabei ging es vor allem um den Vorwurf der Nichterreichbarkeit des polizeilichen Notrufs in der Tatnacht. Bei der Prüfung der anderen Anzeige kam die Behörde laut Mitteilung vom Freitag zu dem Schluss, dass bei den vorgebrachten Vorwürfen kein Anfangsverdacht für eine Straftat vorliege beziehungsweise keine neuen Tatsachen bekanntgeworden seien.
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Gedenken in Hanau: Stadt gibt Marktplatz nicht frei
Getroffen wurde noch eine andere Entscheidung: Nach langem Hin und Her einigte sich die Stadt Hanau mit der großen Mehrheit der Hinterbliebenenfamilien auf den Standort eines Mahnmals für die Anschlagsopfer. Es wird am geplanten Haus für Demokratie und Vielfalt errichtet, das zwischen den beiden Tatorten liegt und bis 2026 fertiggestellt sein soll. Die Hinterbliebenen hatten sich lange für den Marktplatz als Standort eingesetzt.
Die Stadt hatte diesen Vorschlag wegen der historischen Verbindung des Platzes zu den Brüdern Grimm und seiner Nutzung durch Wochen- und weitere Märkte als ungeeignet abgelehnt und sich für den jetzt gefundenen Ort ausgesprochen. Rechtzeitig vor dem fünften Jahrestag machte die Stadtverordnetenversammlung vor wenigen Tagen den Weg dafür frei.
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„Unser politischer und mein persönlicher Fokus liegen darauf, wie wir die Stadtgesellschaft zusammenhalten können“, sagte OB Kaminsky. Die Stadt habe durch die verstärkte Förderung von Jugendarbeit, die Planung des Hauses für Demokratie und Vielfalt eine zentrale Anlaufstelle in der Innenstadt und die Unterstützung verschiedener Programme zur Demokratieförderung und Extremismusprävention viel getan.
Anschlag von Hanau: Angehörige unzufrieden mit Veranstaltungsort
Nicht alle Hinterbliebenen sind mit dem Standort einverstanden. „Die machen ein Mahnmal gegen unseren Willen“, sagt Armin Kurtovic, der nach wie vor den Marktplatz favorisiert. Zur offiziellen Gedenkfeier von Stadt und Land will Kurtovic nicht gehen. Er habe genug davon, wie staatliche Stellen sich „wegducken, verstecken und aus der Verantwortung ziehen“, sagt Kurtovic.
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Aufklärung und Konsequenzen: Das verlangen auch die in der Initiative 19. Februar zusammengeschlossenen Menschen. Solange Behörden bei Anschlägen dicht machten und Fehler nicht einräumten und solange es keine Transparenz bei einem Behördenversagen gebe, könne sich ein Anschlag wie der vor fünf Jahren jederzeit wiederholen, sagte Sprecherin Duman.
lro/epd/KNA/dpa