Düsseldorf. NRW behauptet, die Abschiebung des Solingen-Attentäters sei auch an Vorgaben Bulgariens gescheitert. Ein Dokument weckt nun Zweifel.

Bei der Überstellung des späteren Solingen-Attentäters Issa al H. nach Bulgarien haben sich die Behörden in Sofia offenbar kooperativer gezeigt als bislang von NRW-Flüchtlingsministerin Josefine Paul (Grüne) behauptet.

In einem am Montag aufgetauchten Überstellungsformular der staatlichen Flüchtlingsagentur Bulgariens aus dem Februar 2023, über das der WDR zuerst berichtet hatte, ist lediglich die Rede davon, dass man einen Abschiebeflug werktags außer Freitag zwischen 9 und 14 Uhr zum Airport Sofia „bevorzuge“ („We prefer…“). Außerdem bat man höflich („We kindly ask…“) darum, sieben Werktage im Voraus die Überstellung anzukündigen.

Paul hatte kurz nach dem Attentat den Eindruck erweckt, die Abschiebung von Issa al H. sei auch an der Sperrigkeit der bulgarischen Behörden gescheitert. Die Flugvorgaben wurden von ihr wie ein K.O-Kriterien präsentiert. Am 23. August 2024 hatte der Syrer auf dem Solinger Stadtfest drei Menschen ermordet. Obwohl die Rückführung nach Bulgarien bereits für den 5. Juni 2023 organisiert war, scheiterte der nächtliche Transfer aus dem Landesflüchtlingsheim Paderborn zur wartenden Maschine am Flughafen Düsseldorf.

Solingen-Attentäter saß kurz nach der gescheiterten Abschiebung beim Mittagessen

Issa al H. war angeblich für die NRW-Behörden nicht auffindbar, saß aber laut dem elektronischen Anwesenheitssystem wenige Stunden später wieder beim Mittagessen in der Landeseinrichtung. Da kein weiterer Rückführungsversuch unternommen wurde, verstrich die Überstellungsfrist. Issa al H. erhielt in Deutschland einen Duldungsstatus und wurde nach Solingen zugewiesen.

FDP-Landeschef Henning Höne reagierte alarmiert auf die neue Entwicklung: Der Rücktritt von Ministerin Paul sei „unausweichlich“. Die Grünen in NRW hätten sich längst als „Abschiebeverweigerer“ entlarvt. Paul habe gegenüber dem Landtag den Eindruck vermittelt, die bulgarischen Behörden hätten besonders komplizierte Vorgaben für Rückführungsversuche im Fall Issa al H. gemacht. „Die Wahrheit ist: Bulgarien hatte Flexibilität für die Überstellung des späteren Attentäters signalisiert“, so Höne. Die Minister habe offensichtlich versucht, sich selbst und das Scheitern der Abschiebung in einem milderen Licht darzustellen.

Im Untersuchungsausschuss des Landtags zu dem Terroranschlag haben gleichwohl am Montag mehrere Experten die grundsätzliche Schwierigkeit von Abschiebungen beleuchtet. „Es ist reiner Zufall, ob man jemanden übernimmt oder jemanden überstellt, der am Ende vielleicht eine Straftat begeht“, sagte der Migrationsforscher Gerald Knaus in einer Sachverständigenanhörung. Das sogenannte Dublin-Verfahren – also die Zuständigkeit des EU-Ersteinreiselandes für das Asylverfahren – sei „komplett gescheitert und nicht reformierbar“.

Allein in Düsseldorf gibt es 20 Asylbewerber mit Gefährder-Potenzial

Auf hausgemachte Probleme wies Philipp Wittmann, Richter am Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, hin: Bundesweit sei oft zu beobachten, „dass die Planung des Abschiebetermins zwischen Ausländer- und Polizeibehörden mitunter versagt oder im Anschluss an einen gescheiterten Überstellungsversuch keine weiteren Maßnahmen unternommen werden“.

Die Düsseldorfer Dezernentin Miriam Koch hob die Bedeutung einer besseren Zusammenarbeit aller der staatlichen Ebenen hervor: In den Kommunen herrsche häufig das Gefühl, „dass unsere Informationen jeweils abgefragt werden, wir aber häufig nicht alle Informationen bekommen, die eventuell schon bei der Bezirksregierung vorliegen“.

Allein in Düsseldorf gebe es 20 Asylbewerber, die wegen möglicher staatsgefährdender Straftaten bei der Sicherheitskonferenz (SIKO) aktenkundig sind. Außerdem habe man 175 Personen im Blick, die wegen einer Häufung von Straftaten auffällig geworden sind. „Ich glaube, dass wir uns auf diejenigen konzentrieren sollten, die auf jeden Fall abgeschoben gehören und vielleicht wir immer noch nicht die Richtigen abschieben“, so Koch.