Seoul. Die Koreanische Halbinsel erlebt eine besondere Krise. Die Instabilität nimmt weiter zu. Nutzt Nordkorea die Gunst der Stunde?

Die Koreanische Halbinsel ist so angespannt wie seit Jahrzehnten nicht. Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, als Korea seine Unabhängigkeit von der Kolonialmacht Japan erlangt hatte, war Korea in einen kommunistischen Norden und einen kapitalistischen Süden aufgeteilt worden. 1950 griff der Norden den Süden an, es folgte der letztlich dreijährige Koreakrieg, der Millionen Todesopfer forderte und 1953 nur durch einen Waffenstillstand beigelegt wurde. Seither folgte auf Phasen der Entspannung oft neuerliche Anspannung.

Mit Krieg haben über die letzten Jahre beide Seiten gedroht, nicht nur Kim Jong-un, sondern eben auch der 2022 knapp ins Präsidentenamt gewählte Rechtspopulist Yoon Suk-yeol. Yoons Gegner haben ihn immer wieder als mitverantwortlich für die höchst angespannte Lage auf der Halbinsel bezeichnet. Mittlerweile aber ist Yoon für eine ganz andere Krise verantwortlich: Eine südkoreanische Staatskrise, die sich seit nunmehr einem knappen Monat hinzieht und am Freitag in eine neue Runde gegangen ist.

Am 3. Dezember hatte Yoon überraschend das Kriegsrecht erklärt, womit er diverse demokratischen Mechanismen in Südkorea aussetzen wollte. Allerdings gelang es oppositionellen Abgeordneten, das kurzerhand durch Soldaten abgeriegelte Parlament zu stürmen und Yoons Kriegsrechtserklärung mit einer Abstimmung einzukassieren. Danach wurde Yoon in einer weiteren Parlamentsabstimmung formal seines Amtes enthoben, woraufhin Premierminister Han Duck-soo als Interimspräsident übernahm.

Südkorea: Han Duck-soo konnte Versprechen nicht einlösen

Han gelobte, Stabilität ins erschütterte politische System Südkoreas zurückzubringen. Schließlich ist seit Yoons gescheiterter Kriegsrechtserklärung nicht nur die Innenstadt von Seoul wiederholt durch Proteste lahmgelegt worden. Südkoreas Währung Won schlitterte auf ein historisches Tief, das Geschäftsklima verschlechtert sich, verbündete Staaten haben sich distanziert. Wie Nordkorea durch seine maladen Auftritte im Ukraine-Krieg Reputationsschäden erleidet, ergeht es Südkorea mit seiner Staatskrise.

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Und so geht es weiter. Denn Han Duck-soo konnte sein Stabilitätsversprechen nicht einlösen: Am Freitag wurde auch er seines Amtes enthoben. Der Hintergrund: Nachdem Yoon Suk-yeol von seinen Rechten als Präsident entbunden worden ist, muss sich nun das Verfassungsgericht mit dem Fall auseinandersetzen. Dort aber sind drei von neun Sitzen derzeit vakant. Damit das Verfassungsgerecht ultimativ für die Amtsenthebung Yoons stimmen kann, sind sechs Ja-Stimmen nötig. Bis auf Weiteres eine knappe Sache.

Für die Neubesetzung der vakanten Posten hat die liberale Oppositionsführerin Demokratische Partei (DP) Personalien vorgeschlagen, mit denen Yoons konservative People Power Party (PPP) bis jetzt nicht einverstanden ist. Han hat als Interimspräsident gefordert, diese zwei größten Parteien im Parlament sollten hier zu einer Einigung kommen. Die DP, die im Parlament die Mehrheit hält, will dies allerdings allein mit ihrer Mehrheit entscheiden – und hat Han insbesondere deshalb nun aus dem Amt entfernt.

Nutzt Nordkorea Gunst der Stunde? Beobachter geben Entwarnung

Mit der aus ihrer Sicht erfolgreichen Abstimmung bestätigt die DP allerdings einen Eindruck, der sich international über die vergangenen Wochen ausgebreitet hat: Südkorea ist bis auf Weiteres unregierbar. Auch wenn nun Finanzminister Choi Sang-mok als Interimspräsident übernimmt, dürfte das Problem fortbestehen. Der Mangel an Stabilität könnte auch das Risiko eines neuerlichen Kriegsausbruchs zwischen Süd- und Nordkorea erhöhen, mit dem denn beide Seiten zuletzt wiederholt gedroht haben.

Einige Befürchtungen lauten, dass Nordkorea nun die Gunst der Stunde nutzen könnte, um ein politisch ungeordnetes Südkorea anzugreifen. Allerdings geben Beobachter hierbei eher Entwarnung. So fiel Nordkoreas Staatspresse über die vergangenen Wochen dadurch auf, dass sie ihr Volk kaum über die innenpolitischen Turbulenzen im verfeindeten Süden informiert hat. Zudem war der amtsenthobene Yoon Suk-yeol über die letzten zweieinhalb Jahre ein wichtiger Grund für die Anspannung auf der Halbinsel.

Der aber ist nun – zumindest vorerst – nicht mehr Präsident Südkoreas. Das Verfassungsgericht hat drei Monate Zeit, um über seinen Fall zu entscheiden. Falls die Amtsenthebung Yoons wie erwartet Gültigkeit hat, wird es binnen zwei Monaten Neuwahlen geben. Und da gilt derzeit die DP als Favoritin – die sich gegenüber Nordkorea eher für Entspannung einsetzen dürfte.