Düsseldorf. NRW hat als erstes Bundesland einen Aktionsplan gegen Einsamkeit mit 100 konkreten Maßnahmen aufgelegt. Die Forschung ist auch an Bord.
Nordrhein-Westfalen hat als erstes Bundesland einen umfassenden Aktionsplan gegen Einsamkeit aufgelegt. Das 81-seitige Papier, das NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) am Dienstag mit der Einsamkeitsforscherin Professorin Maike Luhmann von der Ruhr-Universität Bochum vorgestellt hat, bündelt 100 Maßnahmen aus unterschiedlichen Ressorts und soll die Beschäftigung mit dem Thema vertiefen.
„Einsamkeit ist ein Schwerpunktthema, das wirklich alle Lebensbereiche betrifft“, sagte Luhmann. Es handele sich um ein gesellschaftliches „Querschnittsthema“, deshalb gebe es auch nicht die eine Gegenmaßnahme. „Einsamkeit ist die neue soziale Frage unserer Zeit“, sagte Wüst, der das Problem seit zwei Jahren verstärkt in den Blick genommen hat und eine Enttabuisierung vorantreiben will.
Mehr als die Hälfte der 16- bis 20-Jährigen fühlt sich mindestens moderat einsam
Neben bereits beschlossenen Maßnahmen will die Landesregierung den Umgang mit Einsamkeit in Sportvereinen, Schulen und Hochschulen verbessern. So sollen Isolationsängste und psychische Belastungen im Kinder- und Jugendtraining bewusster in die Trainerausbildung einfließen. In Schulen sollen digitale Lehrmaterialen gegen Alleinsein bereitgestellt werden und die Mobbingprävention ausgebaut werden.
Auch die ehrenamtliche Unterstützung an Grundschulen durch Senioren, die heute schon in OGS-Angeboten in Sport, Handwerk oder im Kreativbereich mitwirken, soll besser gefördert werden. Auch an den Hochschulen ist eine Sensibilisierung für das Thema Einsamkeit geplant. Experten gehen davon aus, dass sich mehr als die Hälfte der 16- bis 20-Jährigen „mindestens moderat einsam“ fühlt, rund 17 Prozent sogar „stark einsam“. Seit der Corona-Pandemie und mit einer immer stärkeren Abhängigkeit von sozialen Medien wird die mentale Gesundheit junger Menschen verstärkt in den Fokus genommen.
Die Uni Bochum startet 2025 ein europaweites Forschungsprojekt zur Einsamkeit
Forscherin Luhmann warnte aber davor, Social Media pauschal für Einsamkeitstendenzen verantwortlich zu machen: „Es kommt darauf, ob das, was man am Handy macht, die sozialen Beziehungen, die man außerhalb hat, eher bereichert, ergänzt oder komplett ersetzt.“
Die Uni Bochum startet 2025 ein europaweites Forschungsprojekt, für das Wüst die Schirmherrschaft übernommen hat. „Aus wissenschaftlicher Perspektive können wir noch lange nicht alle Frage zu Einsamkeit sicher beantworten. Es liegt noch viel Arbeit vor uns, um das Phänomen vollständig zu verstehen und Lösungen ableiten zu können“, sagte Luhmann.
Klar zu sein scheint allerdings, dass Einsamkeit längst nicht mehr nur ein Thema von Hochbetagten ist. Dennoch enthält der Aktionsplan auch „klassische“ Fördermaßnahmen wie „Plauderkassen“ oder „Zuhörbänke“ bereit. Wüst machte deutlich, dass es eher um eine stärkere Fokussierung gehe als um teure neue Rezepte: „Es ist kein Politikfeld der üblichen Art.“ Laut Forscherin Luhmann ist es nicht kurzfristig zu ermessen, ob der Aktionsplan wirkt: „Das sind Prozesse, die werden jetzt angestoßen, da würde ich erwarten, dass man in fünf oder zehn Jahren dann deutliche Unterschiede sieht.“