Düsseldorf. Im Skandal um die rechtswidrige Besetzung der OVG-Spitze mit einer Bekannten des NRW-Justizministers gibt es eine interessante Rochade.

Eine Schlüsselfigur in der Affäre um die rechtswidrige Besetzung des Präsidentenamtes beim Oberverwaltungsgericht (OVG) mit einer Duz-Bekanntschaft von NRW-Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) ist überraschend aus dem vorläufig gestoppten Verfahren ausgestiegen.

Wie das Justizministerium auf Anfrage unserer Redaktion bestätigte, hat die für den ursprünglichen Besetzungsvorschlag verantwortliche Referatsleiterin bereits am 1. Oktober innerhalb des Hauses die Stelle gewechselt. Die abgeordnete Richterin, die streng nach unpolitischer Bestenauslese Kandidaten für NRW-Obergerichte auswählen muss, habe sich selbst wegbeworben. Es bestehe „kein Zusammenhang zu dem nun neu zu erstellenden Besetzungsvorschlag“, versicherte Limbachs Sprecher.

OVG-Affäre in NRW: Brisanter interner Vermerk vom 7. Oktober 2022

Die Referatsleiterin hatte intern früh Zweifel an Überlegungen geäußert, eine Abteilungsleiterin aus dem Innenministerium an die Spitze der Besetzungsliste für das OVG zu setzen. Die frühere Richterkollegin von Limbach war 2022 erst nachträglich ins Bewerbungsverfahren aufgenommen worden, nachdem sie dem neuen Justizminister kurz nach dessen Amtsantritt bei einem privaten Abendessen Interesse an dem Job signalisiert hatte. Es gebe „kein Näheverhältnis“ zu der Frau, betonte Limbach später immer wieder.

In einem Vermerk vom 7. Oktober 2022 an ihren Abteilungsleiter („Ich hoffe, Du hattest Dir so etwas in der Art vorgestellt…“) kam die nun ausgeschiedene Referatsleiterin zu dem Schluss, dass die Limbach-Favoritin nur schwer an zwei anderen Bewerbern vorbeikommen könne. Die hätten deutlich mehr Rechtsprechungs- und Verwaltungserfahrung, während die Bekannte des Ministers seit elf Jahren nicht mehr in der Justiz arbeitete. Den Vermerk konnte man so lesen, dass schon absolute Spitzennoten ihres aktuellen Arbeitgebers, des Innenministeriums, beigefügt werden müssten. Im September redete die Referatsleiterin ihre brisanten aktenkundigen Bedenken im Zeugenstand des Untersuchungsausschusses des Landtags als „nicht belastbare Ersteinschätzung“ klein. Die Opposition im Landtag schäumte dagegen über „Bestnoten auf Bestellung“.

„Ich weiß jetzt nicht, wer jetzt noch Lust hätte, hier ins Rennen einzusteigen“

Die Top-Noten wurden damals prompt von Innen-Staatssekretärin Daniela Lesmeister (CDU) geliefert – allerdings an den gesetzlichen Beurteilungsrichtlinien vorbei, wie man inzwischen weiß. Als dies der Untersuchungsausschuss des Landtags Anfang November aufdeckte, wurde das gesamte Verfahren vom Kabinett gestoppt. Ein Konkurrentenklageverfahren, das es bis zum Bundesverfassungsgericht schaffte, wurde ebenso eingestellt. Ein ausgebooteter Bundesrichter hatte wegen einer politischen Vorfestlegung auf die Limbach-Bekannte erfolgreich geklagt. In einer Eidesstattlichen Versicherung beschrieb er, wie er von der Regierung zur Aufgabe seiner Bewerbung gedrängt werden sollte.

Gerichtskosten belasten Steuerzahler erheblich

Das langwierige Verfahren um das seit bald vier Jahren unbesetzte Präsidentenamt im wichtigsten NRW-Verwaltungsgericht kostet die Steuerzahler viel Geld. Die SPD-Opposition im Landtag verlangt aktuell in einer Kleinen Anfrage von Limbach Auskunft, auf welche Summen sich die Kosten für das verkorkste Besetzungsverfahren inzwischen belaufen. In Justizkreisen ist von einem hohen fünfstelligen bis sechsstelligen Betrag die Höhe. Das Land muss die Gerichtskosten für die bisherigen Instanzen bezahlen und den Regelsatz für die Anwälte des klagenden Bundesrichters. Deutlich höher dürften die eigenen Anwaltskosten des Justizministeriums ausfallen, da Top-Anwälte zu hohen Stundensätzen versucht hatten, das zweifelhafte Besetzungsverfahren zu retten.

Nun soll auf Basis neuer Dienstbeurteilungen des Bewerberkreises bis Januar ein neuer Besetzungsvorschlag im Justizministerium erarbeitet werden. Den will das Kabinett von Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) dann absegnen. Unklar ist, an welchen Beurteilungsrichtlinien sich die damit befassten Stellen orientieren müssen. Jenen zum Zeitpunkt der Stellenausschreibung oder den aktuellen. Inzwischen sind die Vorgaben für Präsidenten von Obergerichten deutlich strenger geworden: Kandidaten müssen mehrere Berufsjahre im sogenannten Richterbeförderungsamt vorweisen, was für Limbachs Favoritin zum Problem würde.

Dass die bislang für Besetzungsvorschläge zuständige Referatsleiterin nicht mehr mitmacht und jetzt lieber im deutlich weniger prestigeträchtigen Referat fürs Gerichtsvollzieherwesen arbeiten möchte, hatte in der Szene Stirnrunzeln hervorgerufen. Als bemerkenswert gilt auch der Auftritt ihres bisherigen Stellvertreters vor dem OVG-Untersuchungsausschuss des Landtags vergangene Woche. Der Mann, ebenfalls erfahrener Richter, gab sich maximal ahnungslos, wie die Limbach-Favoritin an die Spitze der Besetzungsliste kommen konnte: „Wenn ich keine Anweisung bekomme, die Beurteilung zu prüfen, dann prüfe ich sie nicht“, sagte er. Oder: „Ich habe das Votum in sich auf Schlüssigkeit geprüft, nicht aber die äußeren Umstände, wie es zustandegekommen ist.“ FDP-Obmann Werner Pfeil, eigentlich ein ausgesprochen höflicher Rechtsanwalt mit rheinischem Gemüt, schnaubte immer wieder: „Ich komme mir hier allmählich veralbert vor.“

Sollte beim zweiten Versuch erneut die Limbach-Favoritin als Nummer eins der Besetzungsliste geführt werden, dürfte der unterlegenen Bundesrichter ohnehin erneut dagegen klagen. Schließlich ist der Vorwurf einer unzulässigen Geheimabsprache von CDU und Grünen auf die Frau mit CDU-Parteibuch durch den Abbruch des Verfahrens noch gar nicht gerichtlich behandelt worden. Das Bundesverfassungsgericht hat in einem spektakulären Urteil im Sommer aber genau das gefordert. Außerdem arbeitet der Untersuchungsausschuss des Landtags weiter an dem Skandal - und dessen Zeugenvernehmungen und Aktenrecherchen sind gerichtsrelevant.

Limbach lehnt einen Rücktritt trotz des bundesweit beachteten Debakels ab und fordert stattdessen: „Der nächste Schuss muss sitzen.“ Theoretisch seien jetzt sogar weitere Bewerbungen möglich, was dem Minister am Ende sogar einen Ausweg aus der verfahrenen Situation bieten könnte. Doch Limbach bremste: „Ich weiß jetzt nicht, wer jetzt noch Lust hätte, hier ins Rennen einzusteigen.“