Düsseldorf. Das neue NRW-Lagebild zu türkisch-arabischstämmigen Clans zeigt, wie kriminelle Großfamilien vor allem das Ruhrgebiet in Atem halten.
Die von der Polizei erfasste Clankriminalität in Nordrhein-Westfalen hat einen neuen Höchststand erreicht. Im vergangenen Jahr stieg die Anzahl der registrierten Straftaten um 6,5 Prozent auf 7000 und die der Tatverdächtigen um 4,4 Prozent auf 4213. Das ergibt sich aus dem neuen Lagebild zu den türkisch-arabischstämmigen Clans, das Innenminister Herbert Reul (CDU) am Donnerstagmittag im Düsseldorfer Landeskriminalamt (LKA) vorstellte.
Seit Beginn der gesonderten Erfassung vor fünf Jahren ist die Clankriminalität damit deutlich angestiegen. Die mit Abstand meisten Straftaten (2145) sind sogenannte Rohheitsdelikte, also Gewalttaten, gefolgt von Vermögens- und Fälschungsdelikten. Absoluter Hotspot der Clankriminalität bleibt das Ruhrgebiet, in dem sich knapp die Hälfte aller Straftaten abspielen.
Kleine Zahl von Tatverdächtigen ist für riesige Zahl an Straftaten verantwortlich
Typisches Phänomen: Eine kleine Zahl von Tatverdächtigen ist für eine riesige Zahl an Straftaten verantwortlich. So begingen laut Lagebild etwa fünf Prozent der registrierten Clanangehörigen mehr als ein Viertel aller Straftaten. Von insgesamt 118 kriminellen Großfamilien, die das LKA auf dem Schirm hat, gelten sieben als besonders problematisch. Ihnen werden 40 Prozent der Tatverdächtigen und 39 Prozent der Straftaten zugeordnet.
Mit weitem Abstand bleibt Essen die Clan-Hochburg Nummer eins in NRW. Hier wurden im vergangenen Jahr allein 869 Straftaten von 550 Tatverdächtigen begangen. Die meisten Delikte werden in unmittelbarer Wohnumgebung begangen. Als Finanzierungsquelle gelten Drogenhandel und illegales Glücksspiel. Bundesweit beachtet wurde im Oktober 2023 eine Auseinandersetzung zwischen Angehörigen zweier türkisch-arabischstämmiger Großfamilien in der Essener Innenstadt. Obwohl damals 40 bis 50 Personen beteiligt waren, musste das Verfahren aufgrund fehlender Aussagebereitschaft der Geschädigten eingestellt werden.
Anders als bei der Kriminalstatistik, in der Straftaten erst nach Abschluss der polizeilichen Ermittlungen erfasst werden, berücksichtigt das Lagebild Clankriminalität sie früher. Dadurch werden Vorgänge sichtbar, die nie vor Gericht landen. „Die Tendenz der türkisch-arabischstämmigen Großfamilien, sich abzuschotten, lässt ein großes Dunkelfeld nicht bekannt gewordener Straftaten vermuten“, heißt es beim LKA.
Reul hat sich gegen Grüne bei Begriffsstreit um Clans durchgesetzt
Innenminister Reul hatte kurz nach Amtsantritt 2017 gegen Widerstände durchgesetzt, dass die sich aus ethnisch abgeschotteten Subkulturen heraus entwickelnde Kriminalität gesondert ausgewertet werden soll. Anders als bei Lagebildern zur Organisierten Kriminalität werden hier auch kleinere Straftaten von Mitgliedern türkisch-arabischstämmiger Großfamilien bestimmten polizeibekannten Namen zugeordnet. Die Ermittler wollen so ein Phänomen sichtbar machen, dass ohne die hierarchische Struktur, das ausgeprägte Zugehörigkeitsgefühl und das Normen- und Werteverständnis der Clans nicht zu verstehen ist.
Nach Bildung der schwarz-grünen Koalition im Sommer 2022 gab es Versuche, den Begriff „Clankriminalität“ abzuschaffen, weil die Grünen darin eine Stigmatisierung sahen. Reul konnte das Ansinnen bislang abwettern und darauf verweisen, dass bestimmte Großfamilien im Ruhrgebiet unstreitig für kriminelle Parallelstrukturen und -justiz sowie Verachtung staatlicher Institutionen verantwortlich sind.