Berlin. Kritik aus dem Ausland, Kritik aus dem Inland: Warum die Haltung gegenüber Israel für die Grünen zu einer Gratwanderung wird.

Wolfgang Kubicki formuliert mit Bedacht im Konjunktiv, aber mit großer Härte: Sollte es stimmen, sagte der FDP-Politiker in der vergangenen Woche im Bundestag, dass die grüne Außenministerin Annalena Baerbock und Vizekanzler Robert Habeck im Bundessicherheitsrat Waffenlieferungen nach Israel erschwert oder verzögert hätten, dann sei das ein „ungeheuerlicher Vorgang“. Dann müsse sich, wer auch nur einen Hauch um die historische Schuld Deutschlands wisse, „in Grund und Boden schämen“, dann würde die Staatsräson „mit Füßen getreten“.

Die Szene ist ein Ausschnitt aus einer größeren Debatte: Die Grünen auf dem Weg, Israel die Unterstützung zu versagen? Das Verhältnis der Partei zu Israel steht in diesen Tagen grell im Scheinwerferlicht. Wo stehen die Grünen und ihre Außenministerin gut ein Jahr nach dem Angriff der Hamas auf Israel?

Von der einen Seite stellen CDU, CSU und Teile der FDP infrage, wie ernst es die Grünen meinen mit ihrem Bekenntnis zur Existenz und Sicherheit Israels. Nicht nur wegen der Frage nach Waffenexportgenehmigungen an Israel. Auch bei einer Bundestagsresolution gegen Antisemitismus, die seit einem Jahr diskutiert wird, wirft die Union den Grünen eine Blockade vor. Gleichzeitig erntete Grünen-Politikerin Luise Amtsberg, Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, einen Shitstorm im Netz, als sie in einem Interview sagte, sie könne kein gerichtlich bestätigtes Kriegsverbrechen Israels nennen.

Waffenexporte an Israel: Weitere Klagen in Deutschland möglich

Begonnen hatte die Debatte mit einem Bericht der „Bild“-Zeitung, die den Grünen einen Boykott von Waffenlieferungen nach Israel vorwarf. Die Grünen hätten von Israel die Zusicherung verlangt, die Waffen nicht für einen Völkermord einzusetzen – und der israelischen Regierung damit ein solches Ziel unterstellt. Diesen Vorwurf weist man bei den Grünen scharf zurück. Baerbock bestätigte aber, dass es inzwischen eine schriftliche Zusage Israels gibt, das Völkerrecht einzuhalten.

Dass es aus Sicht ihres Hauses einer solchen schriftlichen Bestätigung bedarf, hat seinen Hintergrund in juristischen Abwägungen. Vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag läuft, angestrengt von Nicaragua, eine Klage gegen Deutschland, der Vorwurf lautet Beihilfe zum Völkermord. Auch in Deutschland hatten Kläger versucht, per Eilantrag deutsche Waffenexporte nach Israel zu stoppen. Sie scheiterten. Unter anderem, weil zu diesem Zeitpunkt nicht absehbar war, dass überhaupt Entscheidungen der Bundesregierung über Waffenexporte nach Israel anstanden.

Bundeskanzler Olaf Scholz kündigte weitere Exporte an Israel an

Tatsächlich hatte die Bundesregierung zwischen März und dem 21. August keine Kriegswaffenexporte nach Israel mehr genehmigt. Danach allerdings änderte sich das, und auch in Zukunft soll es weitere Exporte geben, wie Bundeskanzler Olaf Scholz im Parlament betonte.

Doch es sind nicht nur rechtliche Erwägungen, die eine Rolle spielen in der Positionierung der Partei. Von links gibt es Stimmen, die der Partei vorwerfen, nicht kritisch genug zu sein gegenüber der Kriegsführung Israels.

Die deutsche Diplomatie steht vor einem Dilemma: Kritik an der israelischen Regierung – das kann auch bedeuten, dass die ohnehin schon schwierigen Zugänge zu den betroffenen Kriegsgebieten für die internationale Gemeinschaft noch schwieriger werden. Das ist ein Risiko, das viele im politischen Berlin nur begrenzt eingehen wollen.

Vielmehr versuchen hinter den Kulissen deutsche Diplomaten, die Türen für internationale Organisationen offenzuhalten, etwa auch, um bessere humanitäre Hilfe für die Menschen im Gazastreifen zu erreichen. Aus dem Umfeld von Baerbock heißt es, dass deutsche Diplomaten darauf hinarbeiten, dass Israel eine internationale Aufklärungsmission zu den Militäraktionen im Gazastreifen zulässt. Außerdem wirke die Bundesregierung darauf hin, dass Vertreter der Vereinten Nationen Zugang zu den betroffenen Gebieten bekommen und dort unabhängig ermitteln können.

Mehr von Israel-Korrespondentin Maria Sterkl

Grüne Parlamentarier aus anderen Ländern kritisieren die deutsche Haltung

Es ist eine Gratwanderung, die öffentlich oft schwer zu vermitteln ist. Der Druck auf die Grünen sei von allen Seiten hoch, sagt Sergey Lagodinsky, Europa-Parlamentarier der Partei. „Aus Brüsseler Sicht: Das Diskussionsfeld ist sehr explosiv“, sagt er. Gerade grüne Parlamentarier aus anderen Ländern hätten oft einen sehr anderen Blick auf die Situation. „Ein Kollege aus der europäischen Fraktion wirft Annalena Baerbock die Unterstützung eines Völkermords vor – und am selben Tag heißt es in Deutschland, sie stehe nicht zu Israel.“

Und auch in Deutschland gebe es „Fragezeichen“ hinsichtlich der grünen Israel-Politik, sagt er. Auch, aber nicht nur von Menschen, die familiäre Beziehungen in die Region haben. Eine Versicherung des Partnerstaats, dass Waffen völkerrechtskonform eingesetzt werden, findet er daher vertretbar.

Volker Beck dagegen, Vorsitzender der Deutsch-Israelischen Gesellschaft und Mitglied der Grünen, zeigt sich irritiert über Mahnungen des Außenministeriums an Israel. Das Völkerrecht sei Grundlage und Rahmen von Israels Selbstverteidigung, sagt er. „Das sieht Israel so, das sehen wir so. Das muss man nicht noch extra betonen.“

Dass die Genehmigung von Exporten so lange gedauert habe, sei „ärgerlich und gefährlich“, sagt Beck. Wenn Israel sein Material nur teilweise dauerhaft einsetzbar habe, dann könnte das auch vom Iran und seinen Stellvertretern in der Region als Einladung verstanden werden, mögliche Schwächen und Engpässe mit Eskalation auszutesten. Wichtig sei deshalb, dass jetzt wieder geliefert werde.