Taipeh. Kurz nach Taiwans Nationalfeiertag umzingeln chinesische Schiffe und Flugzeuge die Insel. Die Volksrepublik setzt auf Eskalation.

Die Hauptstadt Taipeh hat sich festlich herausgeputzt, die Straßen sind noch sauberer als ohnehin, und die rot-blauen Fahnen flattern von jedem Laternenmast im böigen Wind. Sogar der Regen der vergangenen Tage hat zum Nationalfeiertag ausgesetzt. Vor dem Präsidentenpalast feiert sich der Inselstaat Taiwan selbst – mit Volkstanz, Marschmusik und Motorradstaffel, aber auch mit Performances, Percussion und Piloten­akrobatik.

Die Feierlichkeiten stehen unter dem Motto „A beautiful Taiwan today, a better Taiwan tomorrow“ – das Vorzeigeland in Ostasien möchte noch besser werden. Das Wort „China“ taucht in dem Slogan nicht einmal mehr auf. Die Verbindungen auf das Festland schwinden, immer mehr der 23,5 Millionen Einwohner sagen sich von China los. Eine Mehrheit in der „Republik China“ versteht ihre Heimat inzwischen als souveränes Land. Beim Nationalfeiertag intonieren Veteranen die Nationalhymne: Sie waren vor 75 Jahren dabei, als taiwanische Truppen erfolgreich kommunistische Truppen zurückschlugen, die auf der Insel Kinmen zu landen versuchten. Das Eiland nahe der chinesischen Küste gehört bis heute zu Taiwan.

Die taiwanische Frage ist offen - zum Ärgernis der Chinesen

Der Taiwan-Konflikt beschäftigt seit nunmehr 75 Jahren die Weltpolitik – und ist so offen und brisant wie selten. In einem atemberaubenden Tempo hat sich die Nationenwerdung auf Taiwan in den vergangenen Jahren beschleunigt – nicht zuletzt durch den Druck der Volksrepublik, die die Insel von der Größe Baden-Württembergs als „abtrünnige Provinz“ betrachtet und stets darauf verweist, dass es nur ein China gibt. Je aggressiver allerdings die kommunistische Regierung in Peking aufritt, umso weniger Menschen träumen in Taiwan von einer „Wiedervereinigung“.

Am Sonntag hat China eine groß angelegte Militärübung rund um die Inselrepublik begonnen. Das chinesische Militär sprach in einer Mitteilung von einer „ernsten Warnung“ an die „separatistischen“ Kräfte Taiwans. Der chinesische staatliche Sender CCTV veröffentlichte eine Karte, die mehrere große rote Blöcke rund um Taiwan zeigte. In diesen Gebieten finden die Übungen statt. 

Nun reagiert China mit einer Militärübung auf die Rede des taiwanischen Präsidenten

Bei den Übungen dürfte es sich um eine Reaktion auf eine Rede von Präsident Lai Ching-te zum taiwanischen Nationalfeiertag am 10. Oktober handeln. In der Rede hatte der Präsident vergangenen Donnerstag Taiwans Souveränität bekräftigt, aber China auch aufgefordert, mit ihm für den Frieden zu arbeiten. Allerdings hatte man in Taiwan schon vor der Rede fest mit einer „Reaktion“ Pekings gerechnet.

Der stellvertretende Außenminister Taiwans, François Chihchung Wu, bringt es im Gespräch mit unserer Redaktion auf den Punkt: „China ist ein Teil unserer Kultur. Aber wir sind kein Teil von China.“ Während die Volksrepublik unter Präsident Xi Jinping zunehmend autokratisch auftritt, haben die Taiwaner in den vergangenen Jahren die Demokratie lieben gelernt.

Taiwan
Der stellvertretende Außenminister Francois Chihchung Wu bei einem Empfang für internationale Journalisten © Matthias Iken | Matthias Iken

Von den zehn liberalsten Demokratien, die der Democracy Index 2023 aufweist, liegt Taiwan als einziges Land außerhalb des westlichen Kulturkreises in den Top Ten. Die Insel in Ostasien rangiert auf dem zehnten Platz – und damit sogar knapp vor der Bundesrepublik auf Rang zwölf. In dieses Ranking des „Economist“ fließen fünf Kategorien ein: freie Wahlen, Bürgerrechte, Pluralismus, Partizipation und die Freiheit der Regierung. In diesem Index landet China auf einem 148. Platz von 167 Staaten.

Atemberaubende Demokratisierung binnen gut 30 Jahren

Noch vor drei Jahrzehnten wäre diese Demokratisierung in Taiwan kaum zu erwarten gewesen: Erst 1987 hatte die langjährige Staatspartei Kuomintang (KMT), die von den im chinesischen Bürgerkrieg 1949 unterlegenen Nationalisten dominiert wurde, das Kriegsrecht aufgehoben. 1992 gab es die ersten freien Wahlen, 2000 gewann erstmals die westlich orientierte taiwanesische Opposition DPP (Demokratische Fortschrittspartei). Bei der Präsidentschaftswahl im Januar dieses Jahres verteidigte sie mit 40 Prozent der Stimmen ihre Macht. Heute gilt Taiwan als Vorzeigedemokratie in Ostasien – mit weitreichenden Bürgerrechten inklusive der Gleichstellung von Homosexuellen, mit Meinungs- und Pressefreiheit.

Umfragen zufolge identifizieren sich knapp zwei Drittel der Menschen als Taiwaner und lediglich noch 2,2 Prozent als Chinesen. Beide Identitäten sehen 30,4 Prozent in sich vereint. Noch vor drei Jahrzehnten brachte diese Selbsteinschätzungen ein komplett anderes Ergebnis: 1994 verstand sich nur jeder Fünfte als Taiwaner, aber 44,6 Prozent sahen sich als Chinesen. Ganz unumstritten sind diese Umfragen indes nicht, weil die Fragestellung arg politisch dominiert ist.

Chinakritische Partei hat die Präsidentschaftswahlen für sich entschieden

Die Partei DPP hat im Januar die dritte Präsidentschaftswahl in Folge für sich entscheiden können. Im Parlament indes haben die chinafreundlichere KMT und die Taiwanesische Volkspartei, eher in der Mitte zwischen den beiden Blöcken angesiedelt, die Mehrheit. Sie plädieren für einen Dialog mit China und eine Äquidistanz zur Volksrepublik und den USA gleichermaßen. Auch europäische Diplomaten sehen mit wachsender Sorge, dass die Gesprächsfäden zwischen den Regierungen in Peking und Taiwan gerissen sind.

Taiwans First Lady Wu Mei-ru (l-r), Taiwans Präsident Lai Ching-te, Parlamentspräsident Han Guo-yu und Vizepräsident Hsiao Bi-khim jubeln während der Feierlichkeiten zum Nationalfeiertag vor dem Präsidentengebäude.
Taiwans First Lady Wu Mei-ru (l-r), Taiwans Präsident Lai Ching-te, Parlamentspräsident Han Guo-yu und Vizepräsident Hsiao Bi-khim jubeln während der Feierlichkeiten zum Nationalfeiertag vor dem Präsidentengebäude. © dpa | Chiang Ying-Ying

So war es dem Präsidenten Lai Ching-te beim Nationalfeiertag am Donnerstag denn auch wichtig, die Opposition in seiner mit Spannung erwarteten Rede miteinzubinden: „Wir wissen, dass unsere Sichtweisen nicht dieselben sind, aber wir einander immer respektieren“, sagte der DPP-Politiker. „Wir wissen, dass wir Meinungsunterschiede haben, aber wir wollen gemeinsam nach vorne gehen. So wurde die Republik China Taiwan das, was sie heute ist.“ Zugleich appellierte der Präsident an die Volksrepublik China, ihren Einfluss geltend zu machen und daran mitzuarbeiten, den Ukraine­-Krieg wie den Nahostkonflikt zu beenden. „In einer Zeit, in der die Welt zunehmend chaotisch wird, wird Taiwan ruhiger, selbstbewusster und stärker. Taiwan wird eine Regionalmacht für Frieden, Stabilität und Wohlstand.“

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Die Skyline von Taipeh erinnert an die von New York

Daraus spricht ein Selbstbewusstsein, das sich aus dem Erreichten speist. Wie die Sichtweisen der Menschen hat sich auch die Hauptstadt gehäutet. Neben alten, wenig ästhetischen Häusern aus der Nachkriegszeit ist in den vergangenen Jahren in Taipeh eine Skyline entstanden, die an New York erinnert. Abgerockte, dreistöckige Altbauten stehen in unmittelbarer Nähe von modernen Hochhäusern mit zehn, 20 und mehr Geschossen. Ein Projekt wie der Elbtower fiele dort kaum auf – aber er würde fertiggestellt. Taipeh zählt heute zu den zehn Städten mit den höchsten Immobilienpreisen weltweit.

Taiwan Taipeh
Die Skyline von Taipeh überragt der Wolkenkratzer 101. Mit knapp 510 Metern ist er doppelt so hoch wie der geplante Elbtower. © Matthias Iken | Matthias Iken

Alles überstrahlt der Wolkenkratzer Taipeh 101. Nach seiner Fertigstellung 2004 war der 509-Meter-Turm für fünf Jahre das höchste Gebäude der Welt. Bis heute ist seine Aussichtsplattform im 89. Stock ebenso ein Besuchermagnet wie das gigantische Einkaufszentrum am Fuße des Turms. Die Dichte der Luxusmarken dort sucht ihresgleichen, gegen sie sieht auch der Neue Wall in Hamburg ziemlich alt aus.

Bei Halbleitern hat Taiwan Marktanteile von 90 Prozent und mehr

Taiwan ist über die Jahre reich geworden. Mit Japan liegt der Inselstaat beim Bruttoinlandsprodukt gleichauf, der Standort zählt zu den attraktivsten der Welt, kaum ein Land investiert so massiv in Zukunftstechnologien und ist ähnlich innovativ. Es vergeht kein Termin mit Vertretern aus der Politik, in dem diese nicht stolz auf die große Stärke der Insel verweisen: 60 Prozent der weltweit verbauten Halbleiter stammen mittlerweile aus Taiwan, bei den besonders aufwendigen Mikrochips liegt der Marktanteil sogar bei gut 90 Prozent.

Daraus zieht die Republik ihre große ökonomische Stärke – und darin liegt zugleich die ganze Verwundbarkeit nicht nur Taiwans, sondern auch der Weltwirtschaft. „Wenn Taiwan als Halbleiterproduzent ausfällt, stehen eine Woche später alle Fabriken auf der Welt still“, sagt Vizeaußenminister Wu. Die großen Wirtschaftsnationen sehen es offenbar ähnlich, wie die jüngsten massiv subventionierten Chipfabriken zeigen: Der taiwanesische Marktführer TSCM zieht nun Werke hoch in den USA, Japan und in Dresden.

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Donald Trump sendet verschiedene Signale in der Taiwan-Frage

In einer zunehmend chaotischen Welt geht es um eine Minimierung des Risikos – mit den üblichen Begleiterscheinungen. Der US-Präsidentschaftskandidat schickte kürzlich eine Breitseite in Richtung des Verbündeten: „Taiwan hat uns unser Chip-Geschäft weggenommen“, wütete Donald Trump im Juni in einem Interview. „Ich meine, wie dumm sind wir? Sie haben uns unser gesamtes Chip-Geschäft weggenommen. Sie sind ungeheuer wohlhabend.“ Nun will er auch Taiwan für die Sicherheit bezahlen lassen. Derlei Sprüche alarmieren die Taiwaner – denn die Sicherheit hängt an den Vereinigten Staaten – nicht nur wegen ihrer üppigen Waffenhilfe sondern auch wegen des Beistandsversprechens.

Das könnte nötig werden – erst vor Kurzem hat Chinas KP-Chef Xi Jinping seine Drohungen gegenüber der „abtrünnigen Provinz“ verschärft. „Taiwan gehört China seit dem Altertum“, hieß es in Chinas jüngstem Taiwan-Weißbuch von 2022. Das ist historisch zumindest gewagt. Zunächst prügelten sich Portugiesen, Holländer und Spanier um die strategisch gut gelegene Insel – aber schon damals lebten dort Menschen. Von 1684 bis 1895 hatte sich dann der Kaiser von China das Land einverleibt, danach wechselte es bis 1945 zu Japan. Der deutsche Schriftsteller Stephan Thome, der seit Langem in Taipeh lebt, schrieb dazu: „Ohne die Zäsur von 1945 wäre Taiwan heute vermutlich eine japanische Insel mit etwas anderen Wurzeln, ähnlich wie Okinawa.“

Bis spätestens 2049 will sich China Taiwan wieder einverleiben

Die KP in China sieht das anders und will bis spätestens 2049 die Insel heim ins chinesische Reich holen. „Taiwan ist ein integrativer Teil des heiligen Territoriums der Volksrepublik China“, steht in der Präambel der Verfassung der Volksrepublik. „Die Menschen auf beiden Seiten der Taiwanstraße sind durch Blut verbunden, und Blut ist dicker als Wasser“, erklärte Xi Jinping. Peking setzt dabei auf eine Mischung aus Zuckerbrot und Peitsche: In Aussicht gestellt wird den lieben Verwandten eine friedliche Wiedervereinigung nach dem Hongkonger Modell namens „Ein Land, zwei Systeme“.

Doch was diese Garantien wert sind, musste die ehemalige britische Kronkolonie zuletzt erfahren, als der demokratische Widerstand 2019/20 niedergeschlagen wurde. Zugleich erhöht Peking den militärischen Druck: Immer wieder dringen Flugzeuge und Schiffe in die Wirtschafts- und Luftüberwachungszone von Taiwan ein, Militärübungen und Raketentests heizen die Atmosphäre weiter auf.

Nun über China die Blockade der Insel

Die aktuelle Übung ist eine weitere Eskalation. Ein Sprecher des chinesischen Militärs sagte, Schiffe und Flugzeuge näherten sich Taiwan aus mehreren Richtungen. Ziel sei es unter anderem, zu üben, wichtige Häfen und Gebiete zu blockieren sowie eine „umfassende Kontrolle“ zu erlangen. Auch die chinesische Küstenwache erklärte, in den Gewässern um Taiwan Inspektionen durchzuführen. 

Das taiwanische Verteidigungsministerium nannte die chinesische Übung eine „irrationale Provokation“ und erklärte, eigene Streitkräfte entsandt zu haben, um „konkrete Maßnahmen zur Wahrung von Freiheit und Demokratie zu ergreifen“.

Beide Volkswirtschaften brauchen einander

Dabei sind beide Volkswirtschaften eng miteinander verflochten. Das will Taipeh ändern: „Wir investieren inzwischen mehr Geld in anderen südostasiatischen Ländern als in der Volksrepublik“, sagt Huang­ Ching-Chu vom Hsinchu Science Park Büro, der größten Ideenschmiede im Land. De-Risking auf Taiwanisch.

Das geht auch andersherum: Die Zahl der Touristen, die vom Festland auf die Insel reisen, ist dramatisch eingebrochen. Waren es vor zehn Jahren noch 4,2 Millionen Besucher und 2019 immerhin noch 2,7 Millionen, kamen 2023 nicht einmal mehr 200.000 Chinesen nach Taiwan. Eine politische Eiszeit ist angebrochen.

Früher verstand sich Taiwan als das einzige China

Allerdings ist Taiwan nicht unschuldig am Streit um das eine China: 1949 flohen die Vertreter der chinesischen Republik, Regierung, Eliten und Streitkräfte, nach ihrer Niederlage gegen die Kommunisten im Bürgerkrieg nach Taiwan. Sie nahmen nicht nur den Staatsapparat, sondern auch wertvolle Kunstschätze mit nach Taipeh, wo sie bis heute im Nationalen Palastmuseum zu bestaunen sind.

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Das Nationale Palastmuseum stellt viele Exponate der chinesischen Geschichte aus. © Matthias Iken | Matthias Iken

In den folgenden Jahren war es dementsprechend Taiwan, das sich für das einzige wahre China hielt und dementsprechend bei den Vereinten Nationen auftrat – bis 1971 kurzerhand die Republik China zugunsten der Volksrepublik ausgeschlossen und ausgebootet wurde. So entstand weltweit der Eindruck, die Insel sei eine chinesische Provinz. Und die UN-Resolution 2758 gilt bis heute: China, das ist die Volksrepublik.

Die KP in Peking übt massiven Druck auf sämtliche Staaten aus, die es wagen, diplomatische Beziehungen zum Inselstaat aufzunehmen. Für sie kann und darf es nur ein China geben, die sogenannte Ein-China-Politik ist für die Volksrepublik eine völkerrechtlich unumstrittene Regel. Erst 2021 bestrafte China Litauen mit massiven Handelssanktionen, weil sich der baltische Staat erdreistet hatte, eine taiwanische Repräsentanz in Vilnius zu eröffnen. Seit 2013 haben deshalb mehr als zehn Staaten ihre diplomatischen­ Beziehungen zu Taiwan abgebrochen.

Mit massivem Druck versucht China, Taiwan diplomatisch zu isolieren

Das Ausgrenzen Taiwans auf internationaler Ebene schlägt mitunter bizarre Blüten. So durfte der Inselstaat, der vorbildlich ohne große Lockdowns und Infektionszahlen durch die ersten Wellen der Corona-Jahre steuerte, bei der Weltgesundheitsorganisation WHO nur zuschauen – weil China, Auslöser und Brandbeschleuniger der Pandemie, es so wollte.

Aufgrund der Größe des chinesischen Marktes und der Relevanz für die nationalen Volkswirtschaften halten sich die meisten Staaten an die Ein-China-Politik. Auch Deutschland hat deshalb keinen Botschafter nach Taiwan entsandt, sondern einen Repräsentanten. Ähnlich handhaben es fast alle Länder, abgesehen von einem Dutzend Kleinstaaten. Es ist eine Frage des nationalen Interesses. Taiwan versucht dagegenzuhalten und sich als Insel der Meinungsfreiheit, der demokratischen Werte, des Westens zu positionieren. Das Ziel: internationale Solidarität.

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Die Angst vor einer militärischen Eskaltion wächst

Nun fürchten manche in der Region, dass am Ende des Konflikts die Waffen entscheiden könnten. Die Wirtschaftskrise könnte, so fürchten manche, die Chinesen zu einer militärischen Attacke auf Taiwan motivieren, um mit einem äußeren Feind die inneren Probleme zu bekämpfen. Andererseits weiß auch die Volksrepublik, dass ein Krieg in Ostasien die Weltwirtschaft in eine dramatische Rezession stürzen könnte. Mehr als die Hälfte der weltweiten Handelsschifffahrt geht durch die Formosastraße zwischen den beiden verfeindeten Bruderstaaten. Experten erwarten im Falle eines Waffengangs einen Einbruch um zehn Prozent. Und das kann auch nicht im Interesse der Volksrepublik liegen.

Taiwan Taipeh
Blick in die Altstadt rund um die Dihua Street. Dahinter wachsen die Wolkenkratzer. © Matthias Iken | Matthias Iken

Doch seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine ist auch das Unmögliche möglich geworden. „Das war ein Weckruf für das Land und seine Bewohner“, sagt Außenminister Lin Chia-Lung (DDP) im Gespräch mit unserer Redaktion. „Dieser Krieg hat einen großen Einfluss auf die Wahrnehmung. Taiwan kann daraus lernen.“ Der Westen sehe China nicht nur als Bedrohung Taiwans, sondern der Welt. So wie China und Russland ein Bündnis bildeten, müssten nun die demokratischen Staaten zusammenstehen. „Wir sitzen alle im selben Boot.“

Die Welt blickt inzwischen anders auf die Insel

Die Konfrontation zwischen den Staaten ist zum beherrschenden Thema geworden. I-Chung Lai, Präsident des Thinktanks „Prospect Foundation“, beklagt, dass China versuche, Taiwan zu isolieren. „Es gibt aber keinen Weg zurück in die Vergangenheit.“ Die junge Generation sei bereit, die Freiheit notfalls auch mit der Waffe in der Hand zu verteidigen. „Wir haben kein anderes Land, in das wir fliehen können. Wir können im Ernstfall nur kämpfen“, sagt I-Chung Lai.

Inzwischen blickt die Welt allerdings anders auf die Insel – viele Länder nehmen sie nicht mehr als chinesisches Anhängsel wahr, sondern durchaus als souveränen Staat. Das Institute for National Defense­ and Security in Taipeh, ein Think Tank für Verteidigungs­politik, verweist darauf, wie schwer es sein dürfte, die Insel zu erobern. Aufgrund der Topografie ist Taiwan nur schwer zu besetzen. Ein solch aufwendiges Landungsmanöver sei zuletzt nur einmal gelungen – bei der Landung der Alliierten in der Normandie 1944.

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Taiwan „Wenn du Frieden willst, rüste zum Krieg“

„Die militärische Bedrohung ist hoch“, sagt Jyh-Shyang Sheu vom Insti­tute for National Defense and Security. Noch sei China nicht bereit für eine Invasion - zumindest nicht unter der Voraussetzung eines schnellen Sieges. Aber Aktivitäten im Graubereich oder hybriden Kriegsführung beherrschte die Volksrepublik bereits. „Und das ist vielleicht noch gefährlicher als eine potenzielle Invasion.“

Auf einem Smartphone wird im Mai eine Karte mit Standorten der Militärübungen rund um Taiwan angezeigt. Wie damals finden auch jetzt wieder Übungen rund um die Inselrepublik statt.
Auf einem Smartphone wird im Mai eine Karte mit Standorten der Militärübungen rund um Taiwan angezeigt. Wie damals finden auch jetzt wieder Übungen rund um die Inselrepublik statt. © dpa | Andre M. Chang

Sheu verweist darauf, dass der Ausgang des Ukraine-Krieges bis ins südchinesische Meer ausstrahlt. „Wenn Russland am Ende gewinnt, wird es gefährlich. Geben die westlichen Alliierten am Ende auf, die Ukraine zu unterstützen, wird Chinesen darauf setzen, dass sie schlussendlich auch Taiwan fallen lassen.“ Das würde die Großmächte im Zweifel bestärken.

„Si vis pacem para bellum. Wenn du Frieden willst, rüste zum Krieg“, zitiert Jyh-Shyang Sheu das alte lateinische Sprichwort. Die Taiwaner haben ihre Militärbudgets deutlich erhöht, seit 2014 um 80 Prozent auf nunmehr 2,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Auch der Wehrdienst wurde verlängert. In Ostasien stehen die Zeichen auf Sturm.