Berlin. Russische Schiffe spionieren Pipelines, Datenkabel, Windparks und Militäranlagen in der Ostsee aus. Der BND spricht von „konkreter Gefahr“.
Wladimir Putin hat die Ostsee im Visier. Russische Spionageschiffe sind in dem Meer im Dauereinsatz und liefern dem Militär sensible Daten über mögliche Ziele. Zu diesem Ergebnis kommt das internationale Rechercheprojekt „Russian Spy Ships“, an dem in Deutschland Reporter von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung beteiligt waren. Den Recherchen zufolge setzt Russland für die Ausspähung kritischer Infrastruktur unter anderem sogenannte „Forschungsschiffe“ ein, die mit sensibler Sonar- und Radartechnik ausgestattet sind.
Seit Beginn des Ukraine-Krieges haben mindestens 72 dieser Schiffe, die überwiegend den russischen Streitkräften zuzurechnen sind, mehr als 400 Fahrten unternommen. Das ist das Ergebnis einer Datenauswertung, für die unter anderem mehr als tausend Morsesignale russischer Schiffe dekodiert wurden. Die Recherchen zeigen, dass die Nord- und Ostsee offenbar im Fokus der russischen Spionage steht. Mindestens 60 Mal unternahmen die Schiffe hier, meist mit abgeschaltetem Ortungssystem (AIS), sogenannte „Kriechfahrten“. Das sind verdächtige, extrem langsame Fahrten mit auffälligen Zick-Zack-Mustern.
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Diese Manöver fanden dabei immer wieder in unmittelbarer Nähe von kritischer Infrastruktur statt. Zu den mutmaßlichen Aufklärungszielen der Schiffe zählten unter anderem ein U-Boot-Tauchgebiet der Nato („Walkyrien“), ein Windpark vor Rügen in Mecklenburg-Vorpommern und die Gaspipeline „Baltic-Connector“. Diese Gasleitung wurde wenig später tatsächlich durch den Anker eines chinesischen Schiffs schwer beschädigt. Ermittlungsbehörden in Estland gehen von einem Sabotageakt aus.
In der Nordsee spionierten die Schiffe offenbar auch die Gaspipeline „Europipe“ aus. Diese führt von Norwegen in das niedersächsische Dornum und versorgt viele Millionen Haushalte mit Erdgas.
BND: „Wir halten die Gefahr für sehr konkret“
Experten zufolge dienen diese „Kriechfahrten“ dazu, kritische Infrastruktur genau zu vermessen, um so mögliche Sabotageakte vorbereiten zu können. Grund zur Sorge für den Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes (BND), Bruno Kahl: „Wir halten die Gefahr für sehr konkret.“ Russland beschleunige das Tempo, um auch gegenüber dem Westen militärisch handlungsfähig zu sein und „dieses Tempo gibt uns Anlass, diese Gefährdungen, Spionage und Sabotage sehr konkret zu betrachten“, sagte Kahl in einem Interview mit NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung.
Offiziell sollen die Schiffe zur ozeanographischen Forschung eingesetzt werden. Doch viele der Schiffe sind der russischen Marine oder dem Verteidigungsministerium zugeordnet. Ein ehemaliges Besatzungsmitglied des Forschungsschiffes „Sibiryakov“ bestätigte dem Rechercheteam Russlands strategisches Interesse an der kritischen Infrastruktur. Wenn man diese „im Falle eines Krieges zerstört, ist man im Vorteil. Die direkte Funktion der Forschungsschiffe ist es deshalb, den Meeresboden zu scannen und diese Informationen dem Militär bereitzustellen“.
Für das „Russian Spy Ship“-Projekt wurden von den beteiligen Medien allem Morsedaten und Satellitenbilder ausgewertet. Die Daten belegen, dass die Schiffe häufig in den Ausschließlichen Wirtschaftszonen (AWZ) der Nord- und Ostsee-Staaten operieren. In diesen Zonen liegen etwa Windparks und Pipelines, Staaten haben aber nur eingeschränkte Hoheitsrechte. Daher kann Spionage schwer abgewehrt werden.
Spionage-Schiffe drangen in deutsches Hoheitsgebiet ein
In acht Fällen drangen die Schiffe sogar in die Territorialgewässer von Ostseeanrainern ein, zweimal war dies auch in deutschem Hoheitsgebiet der Fall. Verdächtige Fahrten fanden demnach unter anderem vor den Küsten von Dänemark (16), Estland (11), Norwegen (8), dem Vereinigten Königreich (9), den Niederlanden (8), Finnland (7) und Deutschland (2) statt.
Russische Behörden ließen eine detaillierte Anfrage unbeantwortet. Die derzeitige Rechtslage macht es den Anrainerstaaten schwer, gegen diese Form der Spionage vorzugehen. Ein Mittel für deutsche Behörden ist es, vor der deutschen Küste mit eigenen Schiffen Präsenz zu zeigen und die russischen Schiffe zu begleiten. Aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine schriftliche Frage des CDU-Abgeordneten Roderich Kiesewetter geht hervor: Seit Beginn des Jahres 2023 hat die deutsche Bundespolizei in 102 Fällen russische Schiffe eskortiert, in fünf Fällen geschah dies durch Einheiten der Marine.
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