Al-Roj. Im Al-Roj-Camp wohnen vom IS radikalisierte Frauen. Unter ihnen lebt eine, die zurück nach Deutschland will – und um ihr Leben fürchtet.
Es ist wieder einer dieser Tage, an denen Zekija Kacar nicht einkaufen kann. Heute ist der Basar für die Frauen aus den Campabschnitten im Norden und Osten reserviert. Kacar ist froh, ihnen nicht über den Weg laufen zu müssen. „Die würden uns kaputtschlagen. Ich will die Frauen gar nicht sehen. Sonst wäre mein Kopf schon weg.“ Die Nachbarinnen, die erst im vergangenen Jahr ins Camp al-Roj umgesiedelt wurden, sind Fanatikerinnen. Sie hoffen auf die Wiedergeburt des „Islamischen Staates“ (IS). Kacar nennt sie „Höllenfrauen“.
Auch interessant
Das Camp al-Roj liegt im äußersten Nordosten Syriens in der Leere einer steppengleichen ockerfarbenen Landschaft. Weiße und blaue Zelte, auf die die gleißende Spätsommersonne herunterbrennt, breite, staubige Wege. Es wirkt auf den ersten Blick wie eines der vielen Flüchtlingscamps, in denen noch heute im benachbarten Nordirak Zehntausende Opfer des IS leben müssen. Al-Roj ist aber kein gewöhnliches Flüchtlingslager. Das zeigen die beiden Zäune, die es umgeben, der Stacheldraht und die Wachtürme. In al-Roj leben Frauen und Kinder, deren Männer und Väter für den „Islamischen Staat“ gekämpft haben.
Zekija Kacar, 42, ist eine dieser Frauen. Seit sieben Jahren ist sie in al-Roj. Im Container der Campleitung sitzt sie auf einem Sofa, die Haare bedeckt von einem fliederfarbenen Hidschab, das Gesicht unverschleiert, stark geschminkt, die Fingernägel lackiert, Piercings an Nase und Lippe. „Mein schönes Leben in Deutschland hätte ich nie verlassen, wenn ich gewusst hätte, was mich hier erwartet“, sagt sie. Kacar, gebürtige Muslima aus Serbien, stammt aus Stuttgart, wo sie gelebt hat, seit sie drei Jahre alt war.
Zekija Kacar, die Frau mehrerer IS-Kämpfer, ist vor dem „Islamischen Staat“ in das Camp geflohen
Sie sagt, sie habe sich von ihrem zweiten Ehemann dazu verleiten lassen, nach Syrien zu reisen. Kacar lernt den Bosnier 2013 nach der Trennung von ihrem ersten Mann im Internet kennen. „Er war schlimm mit dem Glauben.“ Er habe sie aber dazu gebracht, sich zu verschleiern und ihn zu heiraten. „Eine Frau ist ja nur eine Frau. Wenn ein schöner Mann kommt, und ihr schöne Worte erzählt, fällt sie auf ihn rein.“ Ihr Mann habe sie im Februar 2014 zum Urlaub in die Türkei eingeladen und von dort aus mit ihren zwei Töchtern nach Syrien gebracht.
In Syrien stirbt ihr Mann nach wenigen Monaten. Kacar, schwanger mit einem dritten Kind, kommt in ein Frauenhaus des IS. Nachdem sie das Kind auf die Welt gebracht hat, wird sie mit einem syrischen IS-Kämpfer verheiratet. Sie ist die Viertfrau des Syrers, bekommt von ihm zwei weitere Kinder. Der Mann sei gut zu ihr gewesen, habe sie nicht geschlagen. „Ich war immer gehorsam.“ Die Zeit im „Islamischen Staat“ sei schlimm gewesen, sagt sie und berichtet von vergeblichen Versuchen, zu fliehen. Erst als ihr dritter Mann stirbt, sei ihr die Flucht gelungen.
Lesen Sie auch: Nach Anschlag in München – Wie Terroristen an ihre Waffen kommen
„Alles, was ich erlebt habe, möchte ich vergessen. Es war ein Horror. Das, was ich gesehen und das, was ich auch hier im Camp erlebe, das ist nicht der Islam. Das sind furchtbare Leute.“ Ob sie wirklich so naiv ist, wie sie sich im Gespräch darstellt, oder vor zehn Jahren von der Ideologie des Islamischen Staates überzeugt war, lässt sich nicht überprüfen. Kacars Schicksal wirft aber ein Schlaglicht auf die Gefahren, die sich im Nordosten Syriens zusammenbrauen, weil die Welt die dortige Selbstverwaltung allein mit Zehntausenden gefangenen IS-Anhängern lässt.
Nordostsyrische Verwaltung warnt: Camps sind eine tickende Zeitbombe
In al-Roj leben ungefähr 2700 Frauen und Kinder, die meisten von ihnen stammen aus dem Ausland. Es ist das kleinere von zwei Camps in der Region, in denen die Angehörigen von IS-Kämpfern untergebracht sind. Im weitaus größeren Camp al-Hol weiter südlich sind es fast 50.000. Die Camps, warnt die Selbstverwaltung der autonomen Region Nordostsyrien bereits seit Jahren, sind tickende Zeitbomben. Manche der Frauen sind noch immer fanatische Anhängerinnen der IS-Ideologie. Viele Heimatländer wollen sie nicht zurücknehmen.
Frühmorgens werden manche Zelte in al-Roj zu Lehrstätten des Terrors. „Die Mütter bringen ihren Kindern zwischen vier Uhr und acht Uhr bei, wie sie Dschihadisten werden“, erklärt Campleiter Rashid Omar. Den Sicherheitskräften falle es schwer, das zu unterbinden. „Sie wechseln die Zelte ständig und stellen Kinder als Wachen auf.“
Auch interessant
Im vergangenen Jahr ist die Situation in al-Roj problematischer geworden, weil Frauen und Kinder aus al-Hol hierher verlegt wurden, um die angespannte Sicherheitssituation dort zu entschärfen. Die fast 400 Familien, die jetzt in zwei separaten Abschnitten des Camps leben, machen Kacar Angst. „Besonders die aus Tunesien und Marokko sind sehr schlimme Leute.“ Auch einige deutsche Frauen seien unter den Radikalen. „Die denken, dass die Männer, die sie ‚Brüder‘ nennen, zurückkommen und sie befreien.“
Lehrstätten des Terrors: „Mütter bringen ihren Kindern hier bei, wie sie Dschihadisten werden“
Weil sie sich gut mit den kurdischen Bewachern des Camps versteht und nicht vollverschleiert ist, werde sie zur Zielscheibe, klagt Kacar. „Ich habe Probleme, weil ich so rumlaufe.“ Sie gelte für die radikalen Frauen als Ungläubige. Als die Türkei im Dezember vergangenen Jahres in der Nähe des Camps Luftangriffe gegen zivile Infrastruktur fliegt, rebellieren einige der Frauen. „Allahu Akbar“ gellt es durch das Camp.
Die Situation spitzt sich auch zu, weil seit dem Beginn der Kriege in der Ukraine und in Gaza die internationale Hilfe deutlich zurückgegangen ist. Kacar will, dass Deutschland sie und ihre fünf Kinder aus dem Camp herausholt. Ihr beiden ältesten Töchter sind Deutsche, sie selbst hat einen unbegrenzten Aufenthaltstitel. „Ich hoffe, dass mein Heimatland barmherzig ist. Es ist kein Leben hier, es gibt keine Zukunft für die Kinder.“
Draußen stehen einige vollverschleierte Frauen vor einem weißen Zelt. Als sie die Besucher sehen, gestikulieren sie, klauben Steine auf. Sie sind bereit zum Angriff.
Mehr Reportagen von Kriegsreporter Jan Jessen
- Israel und Gaza seit Hamas-Angriff: Am Morgen bricht die Hölle auf
- Christ aus Beirut berichtet: „Es bricht einem das Herz“
- Syrer bewachen deutsche IS-Terroristen: „Niemand hilft uns“
- Syrien: Im Camp der „Höllenfrauen“ hofft man auf die Wiedergeburt des IS
- Terroristen im Lager: In al-Hol wächst eine neue Generation des Hasses heran