Paris. Mit dem Konservativen Michel Barnier hat Frankreich wieder einen Premier. Warum die Linke das Diktat Le Pens dahinter vermutet.

Am Schluss ging alles sehr schnell. Am Mittwochabend hatten sich Präsident Emmanuel Macron und Michel Barnier zu einem trauten Nachtessen im Elysée-Palast getroffen; wenige Stunden später galt der 73-jährige Konservative aus der Alpenregion Savoyen als gesetzt für den Premierposten. Vor ihm hatte Macron vier andere Namen mit gezielten Indiskretionen getestet – und für ungeeignet befunden: den Sozialdemokraten Bernard Cazeneuve, den Sozialaktivisten Thierry Beaudet sowie die Konservativen David Lisnard und Xavier Bertrand.

Barnier ist insofern nur fünfte Wahl. Macron griff auf ihn zurück, weil er als erfahrener, wenig profilierter Konsenspolitiker gilt. Als solcher hat er etwas bessere Überlebenschancen als die übrigen Premierkandidaten. Die Rechtspopulisten des Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen hatten offen gedroht, die Favoriten Cazeneuve und Bertrand in der obligatorischen Vertrauensabstimmung in der Nationalversammlung zu Fall zu bringen. Ein solcher Regierungssturz wäre unweigerlich auf Macron zurückgefallen, der seit der verpatzten Ansetzung von Neuwahlen sehr geschwächt ist.

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Barnier soll wohl auch etwas Ruhe in den derzeit geradezu hysterischen Politbetrieb Frankreichs bringen. Der hochgewachsene Gentleman-Rentner alter Schule wird in Paris gerne als „der französische Joe Biden“ bezeichnet: Er hatte schon 1992 die olympischen Winterspiele von Albertville ausgerichtet; seither übte er zahllose Ministerposten unter Präsident Jacques Chirac sowie in der EU-Kommission aus, zuletzt als Brexit-Chefunterhändler. Der RN-Politiker Tanguy nannte Barnier am Donnerstag ein „Fossil“ und sehr abschätzig „einen der dümmsten Politiker der Fünften Republik, der abgesehen von seinen Notizzetteln nichts versteht“.

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Immerhin gibt Le Pen Barnier eine Chance: Wenn er in seiner Regierungserklärung vor dem Parlament auf die Ideen des RN eingehe, werde es ihm das Vertrauen aussprechen, erklärte die RN-Gründerin am Donnerstag. Diese Ankündigung brachte die Linksopposition vollends auf die Palme. Der Chef der linksradikalen Umbeugsamen, Jean-Luc Mélenchon, wirft Macron seit Wochen vor, er „stehle“ der in den Juli-Wahlen siegreichen Neuen Volksfront den Premierposten. Statt die linke Premier-Kandidatin Lucie Castets zu ernennen, liefere er sich dem Wohlwollen der Lepenisten aus. Wenn Barnier keine knallharte Immigrationspolitik ankündigen werde, müsse er gleich wieder seinen Hut nehmen.

Dazu würden allerdings auch die Linken beitragen: Die Volksfront will dem neuen Premier das Vertrauen im Parlament verweigern. Die Unbeugsamen rufen für Samstag zu einer Großkundgebung in Paris auf, um gegen die ihrer Meinung „undemokratische“ Regierungsbildung zu protestieren. Mit einigen Grünen haben sie zudem am Mittwoch ein Impeachment-Verfahren gegen Macron eingeleitet. Es hat arithmetisch nicht viel Chancen, zeigt aber, wie sehr die Autorität des Präsidenten gelitten hat.

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    Barniers Nominierung löst nicht alle

    Dazu trägt auch der frühere Macron-Premier Edouard Philippe bei. Der in den meisten Beliebtheitsumfragen führende Mitterechts-Politiker hat diese Woche seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen 2027 angekündigt. Dabei machte er ausdrücklich klar, dass er auch im Fall „vorgezogener Präsidentschaftswahlen“ antreten würde. Das heißt also: Falls Macron vor seinem Mandatsende abtreten müsste. Dass die Gegner des Staatschefs und auch die Medien bereits „das Ende des Macronismus“ ausrufen, ist das eine. Mit Philippe sägt nun aber auch ein ehemaliger Vertrauter an seinem Thron. Und seine Partei „Horizons“ ist oder war eine wichtige Komponente des Macron’schen Mittelagers.

    Barniers Nominierung dürfte deshalb im Elysée nur kurz für Entspannung sorgen. Wie der neue Premier eine tragfähige Regierung bilden will, die in der Nationalversammlung keine Mehrheit hat, ist ziemlich schleierhaft. Wie auch die Frage, ob Macron die drei Jahre bis zum Ende seines zweiten – und laut Verfassung letzten – Fünfjahrmandates überhaupt durchstehen kann.