Berlin. Zum ersten Mal seit dem Sieg der Taliban wurden Menschen nach Afghanistan abgeschoben. Menschenrechtler sehen einen „Dammbruch“.
Kurz nach halb eins deutscher Zeit landet am Freitag auf dem Flughafen in Kabul eine Maschine von Qatar Airways. An Bord: 28 Männer mit afghanischer Staatsbürgerschaft, die hier schwere Verbrechen begangen hatten und nun das Land verlassen müssen.
Es ist ein besonderer Flug – die erste Abschiebeaktion mit Ziel Afghanistan, seit die islamistischen Taliban dort im August 2021 die Macht wieder übernommen haben. Für die Bundesregierung bedeutet der Flug die Umsetzung einer Ankündigung des Kanzlers aus dem Frühjahr. Nach dem Messerattentat in Mannheim, bei dem ein Polizist getötet worden war, hatte der Bundeskanzler im Bundestag gesagt, dass die Regierung Straftäter und Gefährder auch nach Afghanistan und Syrien abschieben will.
Den Flug vom Freitag sieht er deshalb als Signal an Straftäter: „Es ist ein klares Zeichen: Wer Straftaten begeht, kann nicht darauf rechnen, dass wir ihn nicht abgeschoben kriegen, sondern wir werden versuchen, das zu tun, wie man in diesem Fall sieht“, sagte Olaf Scholz bei einem Wahlkampftermin in der Nähe von Leipzig. Ein solches Vorhaben gelinge nur, wenn man es sorgfältig und sehr diskret macht.
Warum jetzt möglich war, was lange ausgeschlossen schien, wer das Land verlassen musste und welche Folgen die Aktion hat – wir beantworten die wichtigsten Fragen.
Was ist über die Abgeschobenen bekannt?
28 verurteilte Straftäter aus insgesamt elf Bundesländern waren an Bord der Maschine nach Kabul. Alle waren in Deutschland wegen schwerer Straftaten verurteilt worden. Unter den Delikten waren Totschlag, Vergewaltigung und gefährliche Körperverletzung. Manche der 28 hatten die Strafen für ihre Taten bereits verbüßt, andere wurden aus der Haft heraus abgeschoben.
Zu den Abgeschobenen gehört auch ein Mann, der 2019 an der Gruppenvergewaltigung einer 14-Jährigen in Illerkirchberg in Baden-Württemberg beteiligt war. Der heute 31-Jährige hatte seine Haftstrafe schon abgesessen und wurde von der Polizei zur Abschiebung festgenommen. Hessen mit sechs und Baden-Württemberg und Niedersachsen mit jeweils fünf Menschen schoben die meisten Personen ab.
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Wie geht es für diese Menschen in Afghanistan weiter?
Nach eigenen Angaben hat die Bundesregierung Vorkehrungen für die Sicherheit der Abgeschobenen in ihrem Heimatland getroffen. Das sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Freitag. „Über die genaueren Details und Vereinbarungen oder Gespräche, die es da gegeben hat“, könne er jedoch nichts mitteilten.
Innenministerin Nancy Faeser (SPD) verwies darauf, dass es keinen Abschiebestopp für Afghanistan gebe. „Insofern gehe ich auch davon aus, dass sie dort sicher sind“, sagte sie nach einer Befragung im Innenausschuss des Bundestags.
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hat allerdings große Zweifel, ob das tatsächlich der Fall sein wird. „In Afghanistan werden Todesurteile verhängt, für die Methoden wie Steinigungen vorgesehen sind“, sagt Sophie Scheytt, Asylrechtsexpertin von Amnesty. Erst vor kurzem sei eine Person öffentlich in einem Fußballstadion hingerichtet worden.
Was die Lage im Land für die nun Abgeschobenen bedeutet, ist offen: „Prognosen über die Strafrechtsverfolgung der Taliban seien schwierig, erklärt Scheytt. „Was man auf jeden Fall sagen kann: Menschen, die nach Afghanistan abgeschoben werden, sind einem erheblichen Risiko von vielfältigen Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt.“ Deswegen sprächen sich auch das UN-Flüchtlingshilfswerk, die EU-Asylagentur und der Europarat ganz klar gegen Abschiebungen nach Afghanistan aus.
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Warum bekommen die Abgeschobenen 1000 Euro Handgeld?
Die Bundesländer, die zuständig sind für Rückführungen, hatten sich darauf geeinigt, den Abgeschobenen 1000 Euro „Handgeld“ mitzugeben. Eine Sprecherin des Innenministeriums in Niedersachsen gab an, das Geld solle reichen, um sechs bis neun Monate den Lebensunterhalt in Afghanistan bestreiten zu können. Hintergrund sind juristische Erwägungen – unter bestimmten Voraussetzungen kann auch die drohende Verelendung im Herkunftsland ein Hindernis für eine Abschiebung sein.
Warum sind Abschiebungen nach Afghanistan jetzt möglich?
Dass seit der Machtübernahme der Taliban 2021 bis zum Freitag keine Abschiebungen in das Land vorgenommen wurden, liegt neben der Menschenrechtslage im Land auch daran, dass die Bundesregierung das Taliban-Regime nicht durch offizielle Beziehungen international aufwerten will. Trotzdem wurde seit längerem daran gearbeitet, Flüge wie den am Freitag möglich zu machen. Dazu spielte die Bundesregierung praktisch über Bande und setzte auf die Unterstützung von Partnerstaaten in der Region – maßgeblich das Emirat Katar.
Die Taliban hatten kürzlich erklärt, dass sie offen sind für Verhandlungen über Abschiebungen, aber auch zum Ausdruck gebracht, dass ihr Ziel direkte Gesprächskanäle zwischen ihrer Regierung und Deutschland sind. „Die Taliban werden diese Menschen nicht ohne Gegenleistung zurücknehmen“, sagt Sophie Scheytt von Amnesty International dieser Redaktion. „Was diese Gegenleistung genau ist, diese Antwort bleibt die Bundesregierung schuldig.“
Ist das der Anfang von regelmäßigen Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien?
Nicht nur nach Afghanistan, auch nach Syrien wolle man Straftäter in Zukunft abschieben, das hatte der Bundeskanzler nach der Tötung eines Polizisten in Mannheim angekündigt. Ob der Flug vom Freitag nur der erste in einer Reihe sein wird oder vorerst der einzige bleiben wird, ist bislang aber offen. Ob es weitere Sammelabschiebungen dieser Art geben werde, „das müssen wir jetzt sehen“, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Freitag.
Grünen-Chef Omid Nouripour dämpfte die Erwartungen, was eine schnelle Wiederholung einer solchen Aktion angeht. Abschiebungen seien so „im großen Stil nicht möglich“, sagte er. „Dafür bräuchte es eine direkte staatliche Zusammenarbeit, die mit den Steinzeit-Islamisten der Taliban nicht möglich ist.“ Diese seien „zu Recht von keiner Demokratie der Welt anerkannt“, erklärte der Co-Vorsitzende der Grünen. Der am Freitag vom Flughafen in Leipzig gestartete Abschiebeflug dürfe „nicht zu einer Legitimation der Taliban führen“.
Hilft diese Aktion den Taliban?
Diese Sorge haben zumindest Menschenrechtsorganisationen. „Eine Zusammenarbeit mit den Taliban - auch über Bande - fördert Terrorismus und Islamismus, anstatt sie zu bekämpfen“, sagte Tareq Alaows, flüchtlingspolitischer Sprecher von Pro Asyl. Die Abschiebung „könnte Teil einer unverantwortlichen Normalisierung des Regimes werden.“
„Dieser Flug ist ein Dammbruch“, sagt auch Sophie Scheytt. „Wir fordern die Bundesregierung auf, sofort dafür zu sorgen, dass es keine weiteren Abschiebungen nach Afghanistan gibt.“