Essen. Städte und Kommunen in NRW ächzen unter einer Schuldenlast von 64 Milliarden Euro. Die Altschulden spielen eine entscheidende Rolle.
Das Thema Altschulden ist nicht auf den ersten Blick zu greifen und zu verstehen, schon gar nicht konkret darzustellen: Liquiditätskredite, Investitionskredite, Schulden in Höhe vieler Milliarden Euro, jährliche Zinsen in dreistelliger Millionenhöhe, knapp 380 Kommunen in NRW sind betroffen. Zu abstrakt sind die Begriffe, zu komplex die Berechnungen, zu hoch die Zahlen, um sie in den normalen Alltag übertragen zu können. Fachchinesisch, das mit dem Leben vieler Menschen im Ruhrgebiet nicht viel zu tun hat.
Doch, wie immer, ändert sich der Blick auf das Altschulden-Debakel, wenn es konkret wird, wenn es direkt in den Alltag der Menschen eindringt. Wenn der Kämmerer von Oberhausen sagt, dass angesichts einer Gesamtverschuldung von knapp zwei Milliarden Euro und einer jährlichen Zinslast von mehr als 40 Millionen die notwendigen Sanierungen von Sporthallen in Alstaden und Osterfeld nicht umgesetzt werden können, wenn im Straßenbau entgegen der Planung drei Straßen nicht erneuert werden, obwohl es sein müsste.
Keine politische Gestaltung möglich
Wenn in Bochum bei einem städtischen Schuldenstand von 1,7 Milliarden Euro jede Bürgerin und jeder Bürger statistisch mit knapp 4900 Euro verschuldet ist. Wenn es 229 Jahre dauern würde, sollte Bochum pro Jahr und Einwohner 75 Euro für Zinsen und Tilgung bezahlen. Wenn der Rat in Gelsenkirchen vom 1,4-Milliarden-Etat fast nichts mehr investieren, geschweige denn etwas gestalten kann, weil nahezu das gesamte Geld von Sozial- und anderen Pflichtausgaben aufgefressen wird.
Und wenn das alles nur die Spitze des Eisbergs ist, weil sich die Liste viel zu leicht fortsetzen ließe. Die armen Städte im Ruhrgebiet, und neuerdings nicht nur die des Kern-Ruhrgebiets, ächzen unter der Altschuldenlast. 18 Milliarden Euro sind es aktuell, das entspricht 18.000 Millionen Euro. Aber auch dadurch wird die Zahl nur bedingt greifbarer.
Viel schlimmer sind die politischen Auswirkungen. Denn dringend notwendige Investitionen bleiben auf der Strecke, die Chance auf die Zukunft in den Häusern und Straßen leiden massiv, und das in einer Region, die durch Strukturwandel und Zuwanderung vielerorts ohnehin vor massiven Herausforderungen steht. Bisher ist es in Jahren und Jahrzehnten nicht gelungen, den Teufelskreis zu durchbrechen. Wer sich zuerst bewegt, hat verloren, heißt es spöttisch in vielen Rathäusern zu diesem Milliarden-Mikado. Oft bleibt nur noch ein Schulterzucken übrig.
Es fehlt die Ernsthaftigkeit
Doch dafür ist das Thema zu ernst. Und gerade diese Ernsthaftigkeit scheint in den Ländern und im Bund zu fehlen. Da wird gezögert und gezaudert, getäuscht und getrickst, werden die Bälle in andere Felder gespielt, hier gern an den politischen Kontrahenten.
Das Schauspiel ist so plump wie fahrlässig. Denn am Ende hat das auch etwas mit Demokratieverständnis und, ja, mit Solidarität und Verantwortung zu tun. Denn wer will sich die Kommunalpolitik der Zukunft noch antun, wenn es nichts mehr zu gestalten gibt, wenn sich politische Arbeit auf Mangelverwaltung beschränkt? Wer will sich über den Zulauf bei extremen Parteien und deren Heilsversprechen eigentlich wundern, wenn an der Basis, im direkten Lebensumfeld der Menschen, in vielen Stadtteilen das Licht ausgeht?
Blick in die Vergangenheit löst kein Problem
Man mag andere Bundesländer wie Bayern oder Baden-Württemberg ja in Ansätzen verstehen, die darauf verweisen, dass sie jedes Jahr schon Milliarden Euro in den Finanzausgleich zahlen. Man kann Bundesländer wie Hessen ja durchaus ernst nehmen, die das Problem der Altschulden wesentlich früher als NRW erkannt und mit der kommunalfreundlichen „Hessenkasse“ bereits 2018 gelöst haben. Diese Argumentationen sind nicht gänzlich unseriös, aber sie blicken in die Vergangenheit und lösen kein Problem der Gegenwart und Zukunft, schon gar nicht mit Blick auf die stetig steigen Integrations- und Sozialkosten, die zu wesentlichen Teilen vom Bund übers Land an die Kommunen durchgereicht werden.
CDU und Grüne in NRW hatten die Dimension des Altschulden-Problems übrigens 2022 bei der Verabschiedung des gemeinsamen Koalitionsvertrages erkannt und benannt: „Die vom Bund klar angekündigte einmalige gemeinsame Kraftanstrengung zur Entlastung der Kommunen von ihren Altschulden muss unmittelbar erfolgen. Zu diesem Zweck werden wir noch in diesem Jahr gemeinsam mit dem Bund eine Lösung Zukunftsvertrag für Nordrhein-Westfalen vereinbaren. Sollte der Bund seiner Verantwortung nicht nachkommen, bekennen wir uns dazu, im kommenden Jahr selbst eine Lösung herzustellen und dafür einen Altschuldenfonds einzurichten, der für die teilnehmenden Kommunen eine substanzielle und bilanzielle Entlastung bringt.“
Altschuldenhilfe als Stückwerk
Ab 2025 gibt es jetzt jährlich 250 Millionen Euro extra und allerhand Appelle an den Bund. Eine substanzielle Entlastung wäre erst dann in Sicht, wenn sich der Bund in vergleichbarer Höhe beteiligte. Geschieht dies nicht, bliebe die Altschuldenhilfe Stückwerk. Die Kommunen fühlen sich zu Recht im Stich gelassen.