Berlin. Ein 17-jähriger Brite ersticht Kinder. Soziale Medien machen aus ihm einen Flüchtling – und liefern Rechtsextremen den Vorwand für Randale.

Ein tödlicher Messerangriff auf kleine Mädchen, die tanzen wollen wie Taylor Swift: Das ist eine so ungeheuer brutale Tat, dass jedes Wort dazu im Halse stecken bleibt.

Zwar war schnell klar, dass es sich bei dem Täter um einen 17-jährigen Briten handelt, dessen Eltern aus dem mehrheitlich christlichen Ruanda eingewandert sind. Doch Social-Media-Agitatoren nutzten die Bluttat in der englischen Stadt Southport, um mit Lügen Stimmung zu machen. Ein illegaler Flüchtling sei der Täter, hieß es auf Telegram, TikTok und X, ein Islamist obendrein, der über den Ärmelkanal mit dem Boot gekommen sei. Sogar der Geheimdienst sei schon auf ihn aufmerksam geworden.  

Mit diesen Falschmeldungen entfachten diese Agitatoren einen Flächenbrand, der sich immer weiter vom Mordanschlag auf die Kinder abgekoppelt hat. Dass es keinen Anhaltspunkt für einen islamistischen Hintergrund gibt, spielt keine Rolle mehr – die Bluttat ist zum Vorwand für die rechtsextremen Ausschreitungen verkommen. Und so liefern sich Rechtsextremisten in den Städten Englands und auch in Nordirland Straßenschlachten, sie greifen Moscheen an, stecken Polizeiautos in Brand, bewerfen Sicherheitskräfte mit Ziegelsteinen, randalieren vor Asylbewerberunterkünften.

Neue Ausschreitungen in England - Regierung verurteilt rechtes "Rowdytum"

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    Der Brexit sollte Einwanderung begrenzen, doch das hat nicht funktioniert

    „Es ist ein Angriff auf den Rechtsstaat“, so das Fazit des neuen britischen Premiers Keir Starmer von der Labour Party. Er verspricht eine harte Hand gegenüber den Krawallmachern, damit schnell wieder Ruhe herrscht. Doch damit wird es nicht getan sein. Denn wenn Fake News ausreichen, um landesweite Ausschreitungen auszulösen, dann schwelt längst eine gefährliche Stimmung im Königreich, die nur einen Funken braucht, um das nächste Großfeuer auszulösen.

    Das Thema Migration ist seit Jahren der heißeste Punkt auf der politischen Tagesordnung in Großbritannien. So war die Kontrolle über die Zuwanderung eines der Hauptargumente für den Brexit. Doch der Austritt aus der Europäischen Union hat aus Sicht der Einwanderungsgegner nichts besser gemacht: 2023, im Jahr drei nach dem Vollzug des Brexit, kamen 685.000 mehr Menschen ins Land, als es verließen.

    Nach Ausschreitungen sperren Polizisten eine Straße im nordirischen Belfast.
    Nach Ausschreitungen sperren Polizisten eine Straße im nordirischen Belfast. © DPA Images | David Young

    Großbritannien: Auch in Deutschland brodelt der Hass

    Dabei versuchte die Tory-Regierung unter Rishi Sunak, legale Einwanderung zu erschweren und die illegale Migration zu stoppen. So entwickelte sie die Idee, alle Asylbewerber ohne Papiere nach Ruanda abzuschieben. Gleichzeitig verschärfte sich die Rhetorik gegenüber den Bootsflüchtlingen, im konservativen Lager war von „Invasion“ die Rede.

    Das zeigt: Eine Politik, die mit harter Rhetorik und Abschreckung verspricht, Asylbewerber fernzuhalten, beruhigt nicht die rechtsextremen Gemüter. Womöglich macht sie sogar Rechtsextremismus erst recht salonfähig. Gewonnen ist damit ohnehin nichts, denn der Migrationsdruck nimmt dadurch ja nicht ab. Weltweite Kriege und Krisen und auch der Klimawandel werden auch in Zukunft dazu führen, dass Menschen ihr Leben aufs Spiel setzen und mit Schlauchbooten über Meere flüchten.

    Warum aber stellt ein Teil der Bevölkerung Asylbewerber derartig unter Generalverdacht, dass es vollkommen egal ist, woher ein Täter tatsächlich kommt? Gibt es zu viel Raum für wilde Mutmaßungen, wenn es um Ausländerkriminalität geht? Wird zu viel unter den Teppich gekehrt? Und warum kann eine rechtsextreme und gewaltbereite Szene so schnell und erfolgreich die Anhänger mobilisieren?  Und vor allem: Welche Rolle spielen die sozialen Medien, allen voran X? Welche Varantwortung hat Inhaber Elon Musk? Diesen Fragen sollte sich nicht nur die neue britische Regierung stellen. Denn die Mischung aus Hass, Wut und Gewaltbereitschaft brodelt längst auch in anderen Aufnahmeländern. Auch in Deutschland.