Berlin. .

SPD-Fraktionschef Steinmeier hat sich von Guttenbergs Fernsehauftritt distanziert. „Jeder hat seinen Stil. Meiner ist ein anderer“, sagt er im Interview mit DerWesten. Auch die Hartz-IV-Reform von Schwarz-Gelb will er so nicht stehenlassen.

2010 war für die SPD das Jahr der Aufarbeitung. 2011 soll das „Jahr der Konzepte“ werden, hofft Frank-Walter Steinmeier. Der SPD-Fraktionschef zieht auf DerWesten Bilanz, mahnt eine Einigung im Hartz-IV-Streit an, grenzt sich von Karl-Theodor zu Guttenberg ab. Wann beginnt die „Showtime“ in der Politik?

Herr Steinmeier, Karl-Theodor zu Guttenberg und seine Frau waren in Afghanistan, dazu der TV-Moderator Johannes B. Kerner. Viele haben am Trip Anstoß genommen. Sie auch?

Frank-Walter Steinmeier: Jeder hat seinen Stil. Meiner ist ein anderer. Ich glaube: Der Verzicht auf Show, dafür mehr Ernsthaftigkeit - das würde der Politik guttun.

Ist Truppenbespaßung per se verwerflich? Andere machen es doch auch.

Dass ein Verteidigungsminister vor Weihnachten seine Soldaten besucht, ist richtig. Jeder Minister hat so gehandelt. Dass er seine Soldaten als Kulisse benutzt, um sich selbst samt Ehefrau zu einer abendlichen Fernsehshow zu inszenieren, das hat es so nicht gegeben.

...die Quote am Hindukusch verteidigen...

Vielleicht auch! Aber das würde ich Herrn Kerner nicht vorwerfen, das ist sein Job.

Wie viel Show muss sein?

Als Kanzlerkandidat waren Sie mit Ihrer Frau bei Kerner und haben vorgeführt, wie Sie einst Ihren Studentenwagen, ein Citroen 2CV, repariert haben. Wie viel Show muss sein, wenn man nach Höherem strebt?

Ich bin ja eher dafür kritisiert worden, dass es der einzige Auftritt dieser Art war! Jeder muss täglich für sich selbst definieren, was er mitmachen will. Ich bin da eher zurückhaltend. Denn ich habe mich entschieden, aktiv Politik zu machen; der Rest meiner Familie nicht. Die möchten auch nicht täglich Gegenstand von Berichterstattung sein. Im übrigen: Wenn Sie das Private öffentlich leben, verändert sich auch das Private! Sie dürfen sich über eines keine Illusionen machen.

Nämlich?

Natürlich haben die Leute einen Anspruch darauf zu erfahren, was das für ein Mensch ist, der da für ein politisches Spitzenamt kandidiert. Und die Verführung, sich preis zu geben ist hoch. Aber man muss Sinn für das richtige Maß behalten: Wer sich täglich ins Schaufenster stellt, gibt das Recht auf Schutz der Privatsphäre selbst scheibchenweise auf.

Haben Sie übrigens einer der Jahresendshows zugesagt?

Nein. Es wäre doch sofort der Eindruck entstanden, ich versuchte privates Schicksal auf politische Mühlen umzuleiten. Ich bin dankbar für überreichliche Anteilnahme, für klugen Rat und viel Sympathie. Und ich bin glücklich, dass es meiner Frau gut geht. Das reicht doch, oder?

„Der Bundeskanzlerin fehlt in der Krise der Kompass“

Jein, es gibt eine ehrenhafte Art, diese Sympathie zu nutzen, nämlich für Organspenden?

Einverstanden. Das Anliegen bleibt. Dem fühle ich mich verpflichtet, deshalb mein Auftritt bei Anne Will. Und die Botschaft: In Deutschland sterben jeden Tag drei Menschen, weil ihnen durch Transplantation nicht geholfen werden kann. Drei Menschen täglich, die leben könnten, wenn mehr gespendete Organe zur Verfügung stünden.

Zur Tagespolitik: Sie haben in der EU-Debatte die Regierung angegriffen. Haben Sie Merkel international bloßgestellt?

Ganz gleich, wer Deutschland regiert hat: Jeder Kanzler hat Europapolitik gestaltet. Das war unsere Stärke. Heute steht Europa am Scheideweg und der Bundeskanzlerin fehlt in dieser Krise der Kompass. Es ist Aufgabe der Opposition, das auch laut und deutlich zu sagen.

Muss man Everybody`s Darling sein?

Nein. Deutschland muss in Europa wieder die Führung übernehmen. Merkel hingegen ist in fast allem gescheitert, was sie auf EU-Ebene anpacken wollte. Sie springt zu kurz. Wenn vom Gipfel kein klares Signal an die Märkte kommt, befürchte ich, dass uns die Probleme im Januar wieder einholen werden.

Kauft von der Leyen der SPD den Schneid ab?

Am Freitag steht die Hartz-IV-Reform im Bundesrat an. Was muss Frau von der Leyen tun, damit die SPD zustimmt?

Ich gehe davon aus, dass der Vermittlungsausschuss eingesetzt wird. Wenn die Regierung sich bewegt, können wir auch rasch zu Ergebnissen kommen. Die Bildungsausgaben für Kinder aus Hartz-IV-Familien reichen nicht aus. Eine Reform, die vom ersten Tag an 1300 zusätzliche Stellen bei der Agentur für Arbeit verursacht, kann nicht der große Wurf sein. Wir brauchen nicht mehr Geld für Bürokratie, sondern mehr Geld für arme Kinder. Daher wäre es besser, das Geld direkt den Kommunen zu geben. Welchen Anlass hat Frau von der Leyen, Ihnen zu misstrauen? Ich sehe keinen. Dort wird die Arbeit gemacht.

Wie lange werden die Menschen auf ihr Geld warten müssen?

Frau von der Leyen nutzt die Auszahlung der Hilfen als Druckmittel. Wenn Sie wirklich wollte, könnte Sie das Geld bereits ab 1. Januar auszahlen.

Kauft sie der SPD der Schneid ab?

Schon als Familienministerin hat sie die SPD-Konzepte übernommen. Das kann ich nicht kritisieren. Dass Sie als Arbeitsministerin den Hartz IV Empfängern jetzt das Elterngeld wieder streicht, allerdings schon. Als Arbeitsministerin hätte sie auch die Reform der Jobcenter ohne uns nicht hinbekommen. Schaut man genau hin, bleibt hinter der Fassade bei Frau von der Leyen doch nur wenig politische Substanz.

„Kritik an Gabriel ist ungerecht“

Die Entzauberung der SPD besorgt Ihre Partei selbst.

Wir stehen da nicht im Wettbewerb mit der FDP; den verlieren wir eindeutig und gerne. Wenn ich auf 2010 zurückschaue, sind wir noch nicht da, wo ich mir die SPD wünsche. Aber ich bin zufrieden. Wir haben die Regierung gejagt. Gleichzeitig haben wir die elf Regierungsjahre gut aufgearbeitet. 2010 war das Jahr der Aufarbeitung. 2011 wird das Jahr der Konzepte.

Was heißt das?

Wir sollten nicht all unsere Energie darauf lenken, die bestmögliche Transfergesellschaft zu organisieren. Wir müssen wichtige Weichen stellen - in der Bildungs- und Integrationspolitik. Wir wollen den Weg bis ans Ende des nächsten Jahrzehnts beschreiben. Den Weg einer Gesellschaft, die unter völlig veränderten Bedingungen ihren sozialen Zusammenhalt bewahren will und dabei Arbeitsgesellschaft bleibt.

Sie sind zufrieden, andere nicht.

Alle werden nie zufrieden sein. Damit muss man lernen zu leben. Aber Klarheit muss sein. Zu vereinzelten Vorschlägen ob 60 Prozent Spitzensteuersatz oder Reduzierung des Kindergeldes, habe ich gesagt, was geht und was nicht. Beides geht nicht.

Ist Sigmar Gabriel zu sprunghaft?

Sigmar Gabriel hat die SPD in einer ausgesprochen schwierigen Lage übernommen. Er hat auf dem Parteitag in Dresden eine mitreißende Rede gehalten. Die Aufbauarbeit der SPD braucht Zeit, Geduld, Unterstützung. Die Kritik an Gabriel ist absolut ungerecht, wird in der Breite der Partei auch nicht geteilt. Er hängt sich rein wie kein anderer und hat jede Unterstützung verdient.