Paris. Statt der Rechten siegen bei der Wahl in Frankreich die Linken. Auch sie wollen das Land verändern. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Haben die Schulferien die Schicksalswahl in Frankreich entschieden? Mit dem Beginn der langen Sommerpause hat am Wochenende der große Reiseverkehr in den Süden begonnen. 3,6 Millionen Franzosen hatten einer zurückbleibenden Person eine Stimmvollmacht hinterlassen, so viele wie noch nie. Und einige Forscher schätzen, dass die Ferienstimmung der Rechtspopulistin Marine Le Pen geschadet haben könnte. Doch nun steht die Republik vor etlichen neuen Fragen.

Wie reagiert Macron auf das Wahlergebnis?

Die Brandmauer der republikanischen Kräfte gegen die Rechtsnationalen hat funktioniert, so viel kann man festhalten. Der Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen hat die Regierungsmehrheit klar verfehlt. Die von Emmanuel Macron angesetzten Neuwahlen sind für den französischen Präsidenten glimpflich ausgegangen. Angeschlagen bleibt er dennoch. Vielleicht gar angezählt.

Wohlweislich zeigte er sich am Wahlabend nicht im Fernsehen. Nur ein nichtssagendes Communiqué erschien im Élysée-Palast, laut dem „der Präsident der Republik Kenntnis von dem Wahlergebnis“ nehme. Zu der ihm obliegenden Ernennung eines Premierministers und Bildung einer Regierung hieß es: „Als Garant unserer Institutionen wird der Präsident darauf achten, den souveränen Willen der Franzosen zu respektieren.“

Wer wird die Regierung stellen?

Tja, was und vor allem wen wollen die Franzosen? Erstmals in der Fünften Republik drängt sich in der 577-köpfigen Nationalversammlung kein Regierungslager auf. Die linke Volksfront hat 182 Abgeordnete, der RN 143 und das Macron-Lager 156; abgeschlagen folgen die konservativen Republikaner mit 66 Abgeordneten. Die Rechnung ist schnell gemacht: Kein Lager hat eine absolute Mehrheit.

Normalerweise müsste der Staatspräsident den Premier aus der stärksten Kraft, also der Volksfront, ernennen. Vor allem ihre linksradikale Komponente, das „Unbeugsame Frankreich“, macht heftig Druck darauf. Ihr Anführer Jean-Luc Mélenchon trat am Sonntagabend umgehend vor die Kameras und erklärte sich bereit, „das ganze Wahlprogramm der Volksfront, nichts weniger“, in die Tat umzusetzen. Dieser Maßnahmenkatalog trägt die Handschrift der „Unbeugsamen“ und ist sogar bei Sozialdemokraten umstritten. Er blockiert gewisse Lebensmittel- und Energiepreise und erhöht das Mindesteinkommen sowie die Beamtenlöhne; die Kosten dafür würden sich bis Ende nächsten Jahres auf 125 Milliarden Euro belaufen.

Am Montag gab der Grüne Yannick Jadot bekannt, die Volksfront werde „noch diese Woche“ eine eigene Regierung präsentieren. Das heißt: Macron soll sie nur noch abnicken können. Mit diesem Vorpreschen will die Linke nicht nur den Staatspräsidenten vor vollendete Tatsachen stellen, sondern auch die Sozialdemokraten. Denn sie werden hinter den Kulissen auch von Macron umgarnt. Der Präsident will dem Vernehmen nach eine große Koalition mit gemäßigten Konservativen, Grünen und abtrünnigen Sozialdemokraten bilden. Diese „Regenbogen-Allianz“, wie sie in Paris genannt wird, könnte rein arithmetisch auf die absolute Mehrheit kommen.

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Also eine Mitte-Allianz statt der linken Volksfront? Moderat statt radikal? Auch nicht wirklich: Macrons Idee riecht zu sehr nach seinem alten Konzept eines dritten Blocks in der Mitte. Und die gilt als ursächlich für den Vormarsch der Lepenisten.

Scholz "erleichtert" über Wahlausgang in Frankreich

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    Wie stehen die Chancen für eine Einigung zwischen Linken und Macronisten?

    In der Parti Socialiste gibt es nicht wenige Sozialdemokraten wie den ehemaligen Premier Manuel Valls, die die linkspopulistischen „Unbeugsamen“ ebenso ablehnen wie die Lepenisten. Im Hintergrund steht der Vorwurf, „La France insoumise“ (LFI) übernehme Hamas-Positionen gegen Israel sowie russische Argumente im Ukraine-Krieg. Sozialistenchef Olivier Faure, der Mélenchon nahesteht, lehnt einen Regierungspakt mit Macron aber in aller Form ab.

    Zwischen den beiden Flügeln der Sozialdemokraten steht eine bekannte Figur: François Hollande, Präsident von 2012 bis 2017 und am Sonntag als Abgeordneter gewählt. Er plädiert für Verhandlungen der gesamten Volksfront mit den Macronisten. Betonung auf „gesamt“, das heißt mit Einschluss der „Unbeugsamen“. Und dort liegt der Haken: Sie würden sich auf keinen Fall mit Macron einigen können, planen sie doch nichts weniger als die Abschaffung der Rentenreform – Macrons Hauptwerk.

    Ist eine ernste Regimekrise im Aufzug?

    In Paris herrscht „le grand flou“, wie ein Pariser Blatt die große Ungewissheit nennt. Verfassungsrechtler beschwichtigen, die von Charles de Gaulle 1958 geschaffene Fünfte Republik verfüge über solide Institutionen und flexible Abläufe für eine Regierungsbildung. Mag sein. Aber was der Verfassungsvater nicht vorgesehen hatte, war die noch nie da gewesene Schwäche des Präsidenten. Man erinnert sich: Landesvater Charles de Gaulle war 1969 aus einer sichereren Position zurückgetreten. Macron hat seine präsidiale Aura verloren. Und seine Aussichten sind dunkel: Er wird die Lepenisten als wichtigste Oppositionskraft zur Rechten haben – und vielleicht Linksradikale in der Regierung.

    Macrons Problem ist aber letztlich Frankreichs Problem: Der EU-Gründerstaat ist derzeit in einer gespannten Verfassung, wie am Sonntagabend auch die Krawalle linker „Antifas“ zeigten. Frankreich ist zwar mehrheitlich erleichtert, dass die politisch unerfahrenen Rechtsnationalen keine Regierung bilden werden. Doch das Land bleibt nahe an einer nationalen Nervenkrise. Die politische Blockade bleibt ungelöst.

    Was bedeutet die mögliche Lähmung Frankreichs für Deutschland und Europa?

    In Brüssel und Berlin macht man sich nach dem ersten Aufatmen über die Le Pen-Bremse wieder Sorgen um das Schicksal der Grande Nation. Die deutsch-französische Freundschaft wird von den Extremisten in Paris infrage gestellt. Frankreich wirkt so fragil wie wohl noch nie in der Fünften Republik, wenn man vom Mai 1968 absieht. Und damals herrschte Aufbruchstimmung; jetzt dominieren in Paris düstere Volkstribune wie Le Pen oder Mélenchon.

    „Erst mal überwiegt eine gewisse Erleichterung, dass Dinge, die befürchtet worden sind, nicht eingetreten sind“, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Montag in der Bundespressekonferenz in Berlin. „Was jetzt mit diesem Wahlergebnis zustande kommt, das wird die Zeit zeigen und Frankreich entscheiden.“ Bundeskanzler Olaf Scholz zeigte sich „erleichtert“, dass eine Regierung des RN „abgewandt“ worden sei.

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    Wie reagiert Russland auf den Ausgang der Wahl?

    In Moskau herrscht – wenig überraschend – Freude über die Destabilisierung eines Landes, das Wladimir Putin seit Langem zu unterwandern sucht. Erst am Freitag ist dazu eine Studie des französischen Forschungsinstitutes CNRS erschienen. Sie zeichnet detailliert die Versuche des russischen Regimes von Wladimir Putin in Frankreich nach. Falsche Zeitungsartikel zugunsten von Le Pen und Mélenchon; Troll-Lawinen gegen Macron, die „Marionette der Amerikaner“; manipulierte Webseiten der Macron-Partei „Renaissance“: All dies geht auf die kremlnahe Hackergruppe „DoppelGänger“ zurück. „Diese Strategie zielt darauf ab, die französische Gesellschaft systematisch zu destrukturieren“, folgert das CNRS. Wie es jetzt scheint, sind die Attacken aus Moskau gar nicht mehr nötig: Frankreich destabilisiert sich von selbst.