Düsseldorf. Jeder Zweite in NRW fühlt sich im Job gehetzt, die wenigen sind zufrieden. Was das bedeuten kann, erzählt hier eine Klinik-Pflegekraft.
Lena-Marie Snelting hat Glück. Die 30-jährige Pflegefachkraft arbeitet auf der kardiologischen Überwachungsstation am Universitätsklinikum Köln. Vor zwei Jahren haben die Beschäftigten der sechs nordrhein-westfälischen Uniklinken in wochenlangen Streikaktionen einen eigenen Entlastungstarifvertrag erkämpft. „Entlastungsmaßnahmen, die wirken“, sagt Snelting.
Es mache einfach einen Unterschied, ob man im Frühdienst zwei bis drei Patienten zu versorgen habe oder fünf bis sechs. „Da sinkt nicht nur die Arbeitsbelastung, sondern ich kann meinen Beruf so professionell ausüben, wie ich ihn gelernt habe“, erzählt die Pflegerin.
Bei struktureller Überlastung drohen Fehler in einem Berufsfeld, in dem keine passieren dürfen. „Das kann zum Beispiel bedeuten: Ich bin total im Zeitdruck, ich gucke in die Akte und ich vergucke mich und gebe dem Patienten ein falsches Medikament. Das wäre jetzt der allerschlimmste Fall, kann aber passieren“, sagt Snelting.
Beschäftigte in NRW: Jeder Zweite fühlt sich gehetzt
Die Unikliniken bieten trotz der enormen Wechseldienst-Belastungen noch Arbeitsbedingungen, von denen viele Pflegerinnen in anderen Krankenhäusern, Altenheimen und ambulanten Pflegedienste nur träumen. Es sei das Groteske an der Gesundheitsbranche, findet Snelting, „dass gerade kirchliche und private Träger ihre Mitarbeitenden so ausnutzen, dass diese selber krank werden von ihrer Arbeit“.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) hat unter 3200 Beschäftigen in NRW aus unterschiedlichsten Branchen über drei Jahre (2020 bis 2023) ermittelt, wie sich die Arbeitsbedingungen verändert haben. DGB-Landeschefin Anja Weber will damit erkennbar einen Gegenpunkt setzen zu immer lauteren Rufen aus Politik und Wirtschaft nach späterer Rente, längerer Wochenarbeitszeit und mehr Druck auf eine angeblich faule „Generation Teilzeit“.
„Nicht der übertriebene Wunsch nach Work-Life-Balance, sondern Überlastung ist der Grund dafür, warum Arbeitnehmer weniger arbeiten als sie eigentlich könnten“, sagt Weber. Der DGB-Index „Gute Arbeit“ fördert zu Tage, dass sich jeder Zweite im Job gehetzt fühlt. Besonders dramatisch sei die Lage bei Alten- und Krankenpflegern oder im Erzieherin-Beruf, wo seit Jahren Fachkräfte händeringend gesucht werden.
Nur 16 Prozent der Beschäftigten in NRW empfinden Ihre Arbeitsbedingungen als gut
Über alle Branchen finden nur 16 Prozent der Beschäftigten, dass sie unter guten Arbeitsbedingungen tätig sind. 15 Prozent finden sie sogar ausdrücklich schlecht. Dabei wird der „Sinn der Arbeit“ eigentlich sehr hoch bewertet. Untechnisch gesprochen: Die meisten Beschäftigen finden es wichtig und erfüllend, was sie tun. Aber vor allem Zeitdruck, Hetze, körperliche und psychische Belastungen, schlechte Arbeitszeiten, geringe Bezahlung und schlechte Altersabsicherung machen ihnen häufig zu schaffen.
Schaut man sich die Branche von Lena-Marie Snelting an, ist nicht zu übersehen: Die Beschäftigten in der Krankenpflege bewerten ihre Arbeitsbedingungen in acht von elf Kriterien noch einmal schlechter als der Gesamtdurchschnitt in NRW. Besonders die Arbeitsintensität wird beklagt. Die Arbeit vieler Pflegekräfte sei durch hohen Zeitdruck und widersprüchliche Anforderungen geprägt, so der DGB-Bericht.
Im Zufriedenheitsranking finden sich einerseits Befunde, die man so ähnlich auch aus anderen Befragungen kennt: Gut ausgebildete IT-Fachleute etwa sind mit ihrer Tätigkeit, dem Einkommen und der Arbeitszeiteinteilung besonders zufrieden. Busfahrer, Paketboten oder Reinigungskräfte dagegen leisten viel, bekommen aber wenig Einkommen, Anerkennung oder Absicherung und weisen folglich die höchsten Unzufriedenheitswerte auf.
Unerwartet kommt dagegen, dass die Studie einigen Arbeitswelt-Klischees klar widerspricht. Der Trend zum Homeoffice, der in vielen Berufen gar nicht realisierbar ist, werde nicht nur positiv gesehen, so Studienleiter Rolf Schmucker. Der größeren Selbstbestimmung der mobilen Arbeiter stehe klar der Trend zur „Entgrenzung von Arbeitszeit“ gegenüber. Erreichbarkeit rund um die Uhr, Reduzierung von Pausenzeiten, unbezahlte Überstunden – das Homeoffice müsse differenziert betrachtet werden.
Den gefühlten Eindruck, dass heute schon Berufseinsteiger freizeitorientiert seien und keinen Karrierebiss entwickelten, gibt die Studienlage laut Schmucker nicht her. Man habe keine Hinweise, dass die jüngere Generation weniger leistungsbereit sei als früher. Ein anderer Generationenunterschied fällt dann doch ins Auge: Jüngere Beschäftigte geben eine bessere Bewertung hinsichtlich ihrer Arbeitsintensität ab. Ältere Beschäftigte dagegen sehen in ihrer Arbeit einen größeren Sinn und sind mit ihrem Einkommen und ihrer Rente zufriedener.
Die Studie zeigt auch, dass im sicheren Hafen des Öffentlichen Dienstes nicht alles Gold ist. Die Beamten freuen sich zwar über ihre lebenslange Absicherung, hadern aber besonders häufig mit widersprüchlichen Anforderungen und seien „oft respektloser Behandlungen ausgesetzt oder müssen mit Konflikten umgehen“.